Binnenpluralität des Islamischen Rechts - Diversität religiöser Normativität rechtsdogmatisch und -methodisch betrachtet
Hatem Elliesie – 2014
Die jüngsten Entwicklungen in überwiegend islamisch geprägten Regionen der Welt offenbaren, dass die Frage der Verfasstheit und die Verrechtlichung von Staatlichkeit mit islamischer Referenz größere Herausforderungen an die lokalen Autoritäten stellen als ursprünglich von vielen erwartet. Die Dichotomie von Recht als „göttliche Satzung“ oder „menschliche Satzung“ ist nur scheinbar hilfreich, denn die „göttliche Satzung“ des islamischen Rechts ist stets im Rahmen menschlicher Ordnung normiert und angewandt worden. Die prominente Stellung zwischen überzeitlicher Norm und unberechenbarer Mannigfaltigkeit des Alltagslebens offenbart die rechtskulturelle Vielfalt zeitgenössischen Islams. Bei einer governance-theoretischen Analyse ist demzufolge der Pluralismus islamspezifischer Autoritäten und institutioneller Akteure der Rechtsinterpretationen, insb. der Rechtsschulen (maḏhab, Pl. maḏāhib), in den Blick zu nehmen. Deren Methodenwahl und spezielle dogmatische Lehrmeinungen werden seither von den lokalen, nationalen und staatlichen Autoritäten in der Rechtsfindung und Rechtsanwendung übernommen. Deren Termini, Methodik und Regelungsstrukturen werden dargestellt, erläutert und sollen damit einer breiteren Leserschaft zugänglich gemacht werden.
The recent developments in predominantly Muslim regions of the world reveal that the question of the constitution and legalization of statehood with reference to Islam presents greater challenges to local authorities than originally expected by many. The dichotomy of law as “divine statute” or “human statute” is only seemingly useful because the “divine statute” of Islamic law has always been standardized and applied within the framework of human order. The prominent position between a supratemporal norm and an unpredictable variety of everyday life reveals the legal cultural diversity of contemporary Islam. In a governance-theoretical analysis, the pluralism of Islamic authorities and institutional actors who interpret the law, especially the law schools (maḏhab, Pl. maḏāhib), therefore need to be taken into account. Their choice of methods and special dogmatic doctrines have since been taken over by the local, national, and state authorities in the finding of justice and application of the law. Their terms, methodology and regulatory structures are presented, explained and shall thereby be made available to a wider readership.