Teilprojekt D9 - Austauschbeziehungen und kollektive Ressourcennutzung im kulturell heterogenen Raum: Die lateinamerikanischen Frontiers, 1880-1910
Das Teilprojekt D9 untersucht vergleichend Austauschbeziehungen und kollektive Ressourcennutzungsmodelle, über die die herrschenden Eliten Lateinamerikas um 1900 eine wirtschaftliche Einbeziehung indigener Gruppen erreichen wollten. Fokussiert werden in den Fallstudienräumen Sonora (Mexiko), Araukania (Chile) und dem Oberen Xingú (Brasilien) reziproke und vertrauensbasierte Governance-Mechanismen staatlicher, nichtstaatlicher und indigener Akteure, die Aneignung oder Verdrängung indigenen Wissens sowie die Konsequenzen der angewandten Governance-Formen hinsichtlich ihrer Umwelt- und Sozialverträglichkeit.
Im Anschluss an die in der vorangegangenen Förderperiode des SFB 700 untersuchte militärische Unterwerfung regionaler indigener Gruppen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gerieten sicherheitspolitische Aspekte für die herrschenden Eliten Lateinamerikas in den Hintergrund. Stattdessen stellte sich die Frage, wie die neu erschlossenen Gebiete und ihre natürlichen Vorkommen für regionale, nationale und internationale Wirtschaftskreisläufe nutzbar gemacht werden konnten. Die autochthonen Bevölkerungen konnten und sollten bei diesem Vorgang nicht ignoriert werden, sondern eine aktive Rolle als Arbeiter, Handelspartner oder Informanten über besondere Ressourcenvorkommen der weitgehend unbekannten Gebiete spielen. Das Forschungsprojekt fragt danach, welche Austauschbeziehungen auf lokaler Ebene stattfanden, wie kollektive Ressourcennutzung im Zusammengehen mit indigenen Gruppen organisiert wurde und welche Konflikte und Lösungen dabei zum Zuge kamen.
Der gewählte Zeitraum (ca. 1880-1910) steht bei allen Fallstudien bislang im Schatten nachfolgender Entwicklungen von nationaler Bedeutung: In Chile markiert das Jahr 1910 mit dem 100-jährigen Jubiläum der Unabhängigkeit den Beginn einer Phase des Krisenbewusstseins und der Neuorientierung. In Mexiko und Brasilien haben vor allem die Revolution bzw. die Gründung des Servicio de Proteccão dos Ìndios (beide 1910) die Aufmerksamkeit der Historiker auf sich gezogen und die Jahrzehnte davor (ethno-) historiographisch für eine Entstehungsgeschichte vereinnahmt. Unser Forschungsvorhaben geht dagegen bewusst von einer historischen Pfadabhängigkeit aus und analysiert die Zeit der Jahrhundertwende in den Fallstudienräumen als post conflict-Konstellationen.
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