Projektbeschreibung
Ausführliche Zusammenfassung
Das Teilprojekt stellt die Frage, ob Schuldnerregierungen im Kontext von Schuldenkrisen und Entschuldungsabkommen weiterhin Governance-Leistungen erbringen können, wenn private Gläubiger durch Klagen den finanziellen Handlungsspielraum der Regierung einzuschränken versuchen und damit eine kooperative Lösung der Schuldenkrise im Sinne des kollektiven Interesses der Bevölkerung des Staates unmöglich machen. Das Teilprojekt fragt also nach der Möglichkeit der Erbringung von Kollektivgütern durch Regierungen im Kontext eines Konflikts zwischen staatlichen und privaten Akteuren, der sich in einen weitgehend nicht-hierarchischen Rechtskontext einbettet und somit das Machtverhältnis zwischen staatlichen und privaten Akteuren in den Vordergrund rückt.
Im Mittelpunkt des Projekts steht der Modus der Handlungskoordination zwischen privaten Gläubigern und staatlichen Schuldnern (à SFB-Ziel 1: Modi der Handlungskoordination und Machtverhältnisse). Es gibt drei zentrale Modi, um Schuldenkrisen zu lösen: (i) Verhandlungen, die letztlich zu einer Restrukturierung von Schulden führen; (ii) rechtliche Konflikte, bei denen Schuldenstreitigkeiten und Umschuldungsprozesse vor Gericht entschieden werden; (iii) Schuldenerlass. Die erste Phase des Projekts konzentrierte sich auf den Verhandlungsprozess, insbesondere das Verhalten der Schuldnerregierung, bei der Umstrukturierung staatlicher Schulden in Schwellenländern. Die zweite Phase konzentriert sich nun auf die Analyse von unkooperativem Gläubigerverhalten, insbesondere Anlegerklagen durch Banken und sogenannte Geierfonds („vulture funds“). Dabei wird das Untersuchungsgebiet auf „highly indebted poor countries“ (HIPCs) erweitert, also auf besonders verschuldete, arme und meist afrikanische Staaten, die sich in der Regel durch einen geringen Grad an Staatlichkeit charakterisieren (à SFB-Ziel 2: Staatlichkeit als Kontextbedingung von Governance).
Durch eine veränderte internationale Rechtsdoktrin sind gerade diese ärmsten Staaten zu Zielen von Klagen privater Investoren geworden. Häufig kaufen private Finanzfonds staatliche Schuldentitel zu niedrigen Preisen, etwa zu 10% des Nennwerts, mit dem expliziten Ziel die Regierung nach einer erfolgten Umschuldung auf volle Rückzahlung des Nennwerts (100%) zu verklagen. Die beklagten Summen steigen seit einigen Jahren deutlich an und belaufen sich alleine für die Gruppe der HIPCs auf mehrere Milliarden Euro. Es ist daher eine naheliegende Hypothese, dass die Bereitstellung von öffentlichen Gütern und staatlichen Leistungen in schwachen Staaten durch private Anlegerklagen maßgeblich beeinflusst wird. Das Ziel, die ärmsten Länder finanziell zu entlasten und Schuldenkrisen effektiv zu lösen, wird durch nicht-kooperative Gläubiger zunehmend untergraben (à SFB-Ziel 6: Materielle Ressourcen und Governance).
Trotz der erheblichen Forschungs- und Politikrelevanz ist die Literatur zu diesem Thema stark unterentwickelt. Ein essentieller Grund hierfür ist die unzureichende Datenlage. Das Projekt zielt daher zunächst darauf ab, die erste umfassende und standardisierte Datenbank zu Anlegerklagen gegen Entwicklungs- und Schwellenländer zusammenzustellen. Aufbauend auf dieser Datenbank sollen in Schritt 1 des Projekts dann die wichtigsten Determinanten solcher Anlegerklagen untersucht werden. Die Kernhypothese ist, dass schwache Staaten mit begrenzten finanziellen Mitteln und unzureichender rechtlicher Expertise einem höheren Risiko ausgesetzt sind, rechtlich angegriffen zu werden, als weiter entwickelte Staaten (à SFB-Ziel 2: Staatlichkeit als Kontextbedingung von Governance). In Schritt 2 werden dann die Auswirkungen von Anlegerklagen auf die Ressourcen der Schuldnerregierung untersucht, um festzustellen, ob in den betroffenen Staaten im Krisenkontext weiterhin Governance-Leistungen erbracht werden und öffentliche Güter bereitgestellt werden können (à SFB-Ziel 3: Effektivität und Legitimität von Governance bzw. SFB-Ziel 6: Materielle Ressourcen und Governance).