Projektbeschreibung
B5 - Herrschaftslegitimierung über Partizipation im kulturell heterogenen Raum: Lateinamerika zwischen Kolonie und postkolonialem Staat, 1759-1865
Projektbeschreibung
Das Teilprojekt erforscht die Steuerung politischer Denk- und Verhaltensweisen in lateinamerikanischen Transformationsstaaten zwischen kolonialem und postkolonialem Staat. Im Rahmen einer vergleichenden mikrohistorischen Studie des Estado de Sonora (Mexiko) und der Mapuche Region in Südchile werden Governance-Formen untersucht, die über Mechanismen der Einbeziehung indigener Gemeinschaften das Regieren rechtfertigten. Zeitlich setzt das Projekt mit den bourbonischen Reformen unter Karl III. (1759-1788) ein und endet mit den Reformgesetzen in Mexiko 1858 bzw. in Chile 1865.
Die Rechtfertigung republikanischer Herrschaft wird als Aushandlung von Konsens verstanden, die als weicher Steuerungsmechanismus eine zentrale Dimension von Governance darstellt. In den kulturell heterogenen und geographisch schwer zugänglichen aber von den neu entstandenen Staaten als integraler Bestandteil ihres Territoriums reklamierten Räumen, die in dem Teilprojekt untersucht werden, war die politische Partizipation der verstreut und weitestgehend autonom lebenden indigenen Gemeinschaften ein fundamentales Problem und machte die Suche nach neuen Formen des Regierens notwendig. Die kommunikative Einbeziehung autochthoner Bevölkerungsteile war zudem eine wichtige Vorrausetzung für die Wahrnehmung spezifischer Probleme und Forderungen, durch die eine gezielte Verbesserung der lokalen Governance erreicht werden konnte. Das Teilprojekt konzentriert sich auf die Mikroebene, wo das Fehlen staatlicher Akteure die agency subalterner power broker erforderlich machte, die staatliche Funktionen für sich reklamierten und Mechanismen suchten, ihre Governance über eine breite Unterstützung seitens der Bevölkerung zu legitimieren. Im Zeitraum zwischen 1759 und 1865 agierten in Lateinamerika auf lokaler Ebene vor allem Kleriker und Militärs, aber auch Lehrer, die durch die Vermittlung von Bildungsgrundlagen wie Lese- und Schreibfähigkeit einen wichtigen Beitrag zur Verbreitung republikanischer Werte leisten sollten. Transnationale Akteure wie Reisende oder Kaufleute aus Europa und den USA, die sich vorübergehend im Land aufhielten oder dauerhaft niederließen, trugen dazu bei, dass sich die Frage nach einer Rechtfertigung von Herrschaft über die Partizipation der Bevölkerung überhaupt stellte. Was sich hier abspielte, waren intensive Kulturtransfers.
Die Etablierung des republikanischen Diskurses soll in seiner kognitiven und affektiven Ausprägung unter anderem am Beispiel der politischen Rhetorik und der Symbolsprache untersucht werden. Folgende Fragen stehen im Mittelpunkt der Untersuchung:
1. Wie konnte eine Beteiligung der indigenen Bevölkerung an den politischen Programmen erreicht werden? Wie kommunizierte man in einem kulturell heterogenen Raum, der nur wenige informative Verbreitungsmedien zur Verfügung stellte, sprachliche Vielfalt und eine hohe Analphabetenquote aufwies?
2. Welche diskursiven Instrumente kamen zum Einsatz, um über Partizipation die Herrschaft zu legitimieren? Wie funktionierte die Verständigung über diese zentrale Frage und welche Konsensbildungsmechanismen liefen dabei ab? Welche Rolle spielte in diesem Zusammenhang der Transfer bzw. der Versuch des Transfers von bestimmten Elementen einer politischen Kultur aus einem spezifischen Kontext in einen anderen?
3. Wer waren die Träger der Transferleistungen? Welche Netzwerke bestanden und welche Wissensgemeinschaften bildeten sich heraus? Lassen sich staatliche und nicht-staatliche Akteure voneinander trennen und welche Interaktionen bestanden zwischen den Ebenen? Welche Rolle spielten in diesem Zusammenhang transnationale Verflechtungen? Welche Akteure vermittelten die politischen Vorstellungen von Volkssouveränität oder repräsentativer Regierung an die indigenen Gemeinschaften?