Understandings of the Rule of Law in various Legal Orders of the World
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Law rules. Das lässt sich zumindest für die internationalen Politik- und Governance-Diskurse sagen, wo das Recht und das hinter ihm stehende Konzept der Rule of Law oder das Rechtsstaatsprinzip in den Fokus vieler Betrachtungen gerückt sind: als Ziel der Außen- und Sicherheitspolitik, an der Schnittstelle zum Völkerrecht, als Maßstab in der Entwicklungszusammenarbeit und im Rahmen von Good Governance Codices und nicht zuletzt auch als Kernkonzept in den Theorien der Internationalen Beziehungen. Die Rule of Law ist zu einem Brückenbegriff zwischen ganz unterschiedlichen praktischen und theoretischen Disziplinen geworden. Sie erscheint als Zauberformel für Ordnungserfolge überall in der Welt. Der Bezug zum gesetzten Recht und die besondere Rationalität rechtlicher Steuerung machen das Konzept griffiger als vage Demokratieutopien. Und als formales Prinzip erscheint es universell übertragbar, auch auf Staaten und Gesellschaften mit sehr unterschiedlichen Traditionen von Recht und dem Zugang zu ihm.
Worüber gesprochen wird, wenn von der Rule of Law oder von Rechtsstaatlichkeit die Rede ist, hängt jedoch nicht zuletzt davon ab, wer darüber spricht und wo darüber gesprochen wird und welches Verständnis vom Recht dort herrscht. In Afghanistan steht Rule of Law heute v. a. für die anhaltende Reform der Gerichtsbarkeit. In Indien handelt es sich um ein Verfassungsprinzip, auf das die Gerichte weitreichende Grundrechtsgewährleistungen stützen – Gleichheitsrechte ebenso wie das Recht auf ein würdiges Leben –, obwohl die Verfassung es gar nicht explizit nennt. Das chinesische Fazhi steht für den Aufbau einer gesetzlichen Ordnung „chinesischer Prägung“. Das zielt auf die Verbesserung der staatlichen Verwaltung, auf Marktregulierung und die Einhegung individueller Freiheit aus gesamtstaatlichen Gründen ab, trägt aber weder zu mehr Rechtssicherheit noch zum Schutz von Menschenrechten bei. Und obwohl die Verfassung von Ägypten alle Staatsgewalt dem Recht unterwirft, die Gewalten voneinander trennt und Grundrechte enthält, lässt das Land sein autokratisches System nur recht langsam hinter sich.
Die Verwurzelung des Rule of Law-Verständnisses in der jeweiligen Rechtskultur und ihren Traditionen zu verdeutlichen, ist das Anliegen von „Understandings of the Rule of Law in various Legal Orders of the World“. Dieses Projekt betreiben wir seit Anfang des Jahres im Rahmen unserer Arbeit am Berliner Sonderforschungsbereich 700 „Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit“. Autorinnen und Autoren aus aller Welt sind aufgerufen, in kurzen Länderberichten ihr Verständnis von Rechtsstaatlichkeit zu erläutern und den Begriff mit Blick auf das Recht und die Verfassung ihrer Expertise zu entfalten. Die Texte sind als Wiki im Internet veröffentlicht und jede Leserin und jeder Leser ist aufgefordert, sie zu ergänzen oder zu korrigieren.
Die Länderberichte nähern sich der Rule of Law aus zwei Richtungen: Zum einen über die tatsächliche Verwendung des Begriffs im jeweiligen Diskurs, nicht zuletzt in der Selbstbeschreibung des Rechtssystems, und zum anderen als analytische Kategorie, um sichtbar zu machen, welche Rechte jeweils dazu gerechnet oder weggelassen werden bzw. unter anderem Begriff zu Hause sind. Die Analyse erfordert einen schlanken Begriff der Rule of Law, der lediglich die Frage nach dem Begriff des Rechts und seinen Bindungswirkungen und der Art und Weise ihrer Kontrolle umfasst. Weitergehende materielle Gehalte sind Forschungsfragen und keine begriffliche Voraussetzung.
Das in den Länderberichten zusammengetragene Wissen macht weitergehende vergleichende Studien möglich, die Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Traditionslinien aufzeigen. Die bisher vorliegenden Berichte zeigen, dass Rule of Law zu einem Thema in allen Rechtsordnungen der Welt geworden ist, und zwar unabhängig von der jeweiligen Tradition. In Ländern mit einer relativ jungen Rezeptionsgeschichte sind sich die Begriffe sehr ähnlich. Hier lässt sich zunehmend eine international einheitliche Formatvorlage erkennen. Es zeigen sich aber auch Ansätze rechtskultureller Gemeinsamkeiten in Räumen, die eine Sprache oder Religion teilen. So ist die Rule of Law in „Islamic modeled States“ (Hatem Elliesie) durch die Beziehung des staatlichen Rechts zur sharī’a gekennzeichnet. Dennoch hat diese Beziehung in den betrachteten Rechtsordnungen jeweils einen ganz eigenen Entwicklungspfad genommen, weshalb sich die Rechtsordnungen erheblich unterscheiden. Starke inhaltliche Parallelen zeigen sich auch in der Folge von Rechtstransfers, wie sie die Rezeption deutschen Verfassungsrechts in der Türkei zur Folge hatte. Und selbst wenn die Übertragung von Verfassungsrechten in eine andere Ordnung nicht so fruchtet wie erhofft, kann sie nachweisbare Spuren hinterlassen. Das zeigen Veränderungen in der afghanischen Gerichtsbarkeit, deren Organisation und Verfahren sich teilweise internationalen Fair-Trial-Standards annähern.
Im Reigen der unterschiedlichen Rule of Law-Verständnisse offenbart sich auch die Eigenartigkeit des deutschen „materiellen Rechtsstaatsverständnisses“. Indem es die Garantie der Freiheitsrechte in sich aufnimmt, spiegelt es die Tradition des abendländischen Liberalismus. Gleichzeitig rückt es den Staat und das von ihm abgeleitete Recht ins Zentrum der Begriffsbildung. Recht ist staatliches Recht, andere soziale Normen können nur da Geltung beanspruchen, wo das staatliche Recht dies zulässt. Die Prämisse, dass das staatliche Recht tatsächlich gilt, seine Wirksamkeit entfaltet und faktisch Anerkennung findet, bleibt unhinterfragt. Für die durch ihre lange Anerkennungstradition gefestigte deutsche Rechtsordnung mögen diese Vorannahmen plausibel sein. Für weite Teile der Welt sind sie es keineswegs. Law does not rule here. Das Recht ist vielmehr ein normatives System neben anderen. Die Rule of Law kann hier ein Leitbild sein, ein geordneter Zustand, der Willkür im Innern ausschließt und internationale Anschlussfähigkeit verspricht, und mit dem politische Hoffnungen verbunden sind. In diesem Sinne wirbt das pakistanische Lawyers’ Movement mit ihr um Zustimmung und zukünftig wohl auch um Wählerstimmen. Demokratie und Menschenrechte sind eng mit der Rule of Law verbunden. Begrifflich lassen sie sich jedoch von ihr unterscheiden, auch im deutschen Verfassungsrecht. Ein formelles Verständnis der Rule of Law bedeutet auch nicht, auf demokratische oder Menschenrechtsforderungen zu verzichten. Sie wären begrifflich nur an anderer Stelle zu Hause.