Projektbeschreibung
Das Projekt untersucht an den Beispielen Mexiko, El Salvador und Guatemala wie externe Akteure an der Security Governance im Rahmen der Bekämpfung organisierter Kriminalität mitwirken. Unter Security Governance verstehen wir Gewaltkontrolle und physische Sicherheit, die Etablierung verbindlicher Regelungen für die Sicherheitserbringung und ihre rechtsstaatliche Bindung. Besonders interessiert uns, wie externe Beiträge zu Security Governance durch lokale Aneignungs- und Abwehrprozesse modifiziert, umgedeutet und/oder unterminiert werden.
Langfassung
Das Projekt untersucht an den Beispielen Mexiko, El Salvador und Guatemala wie externe Akteure und transnationale Akteurskoalitionen in Räumen begrenzter Staatlichkeit an der Security Governance im Rahmen der Bekämpfung organisierter Kriminalität mitwirken. Dabei gehen wir davon aus, dass die diskursiven und operativen Governance-Interventionen externer Akteure durch lokale Aneignungs- und Abwehrprozesse interpretiert, angepasst, umgedeutet oder auch abgewiesen werden (à SFB-Ziel 4: Aneignungs- und Abwehrprozesse in Räumen begrenzter Staatlichkeit).
Unter transnationaler Security Governance verstehen wir die jeweils spezifische Bereitstellung von Governance-Leistungen im Bereich der Sicherheit, und zwar
(a) die Bereitstellung des Gutes „Sicherheit“ (Verbrechensbekämpfung, Gewaltkontrolle, physische Sicherheit),
(b) die Bereitstellung verbindlicher Regelungen für Sicherheitserbringung, und
(c) die rechtstaatliche Bindung der Sicherheitsherstellung.
Organisierte Kriminalität bezieht sich in Mexiko und Zentralamerika vor allem auf den grenzüberschreitenden Drogenhandel und die damit verbundenen Sicherheitsprobleme, insbesondere die damit einhergehende Gewaltspirale und Geldwäsche und die sie forcierende oder gar auslösende Kriminalisierung von Politik und Staat. Angesichts der vielfältigen Bedrohungen der Region durch die organisierte Kriminalität, sind unterschiedliche Governance-Interventionen zu beobachten. Damit meinen wir alle von externen Akteuren bewirkte Verpflichtungen und Vereinbarungen, die grenzüberschreitend zustande kommen, um Security Governance zu induzieren. Die Interventionen gehen von Akteuren (z.B. den USA) und transnationalen Akteurskoalitionen aus, die über unterschiedliche Machtpositionen und Ressourcen verfügen und auf verschiedene Governance-Leistungen gerichtet sind.
Durch die Interaktion zwischen externen Einflüssen und lokalen Politik-Prozessen bleibt die Institutionalisierung von Security Governance ein offener, in keiner Weise linear verlaufender Prozess. Wie die aktuellen Entwicklungen in der Untersuchungsregion zeigen, sind hier Umschlagspunkte von stabilen (relativ friedlichen) zu militarisierten Formen des Regierens durchaus möglich (à SFB-Ziel 5: Von der Produktion privater Güter zu Governance).
Das Forschungsdesign orientiert sich an soziologischen Forschungsansätzen, die als Bezugseinheit nicht einzelne Staaten, sondern „transnationale Sozialräume“ in den Blick nehmen. In unserem Fall sind dies Räume transnationaler Security Governance, wie sie erstens die Mérida Initiative, zweitens die Financial Action Task Force, die Verfahren gegen Geldwäsche transferiert, und drittens internationale Kommissionen gegen Straflosigkeit (Impunidad) darstellen. Sie bilden die empirischen Untersuchungseinheiten, wobei wir den emergenten Prozess der Security Governance durch die Fokussierung auf verschiedene Governance-Interventionen externer Akteuren einerseits, und lokale Aneignung und Abwehr andererseits sowie die Interaktionen zwischen ihnen herauszuarbeiten versuchen. Unterschiede in den Ausprägungen von Staatlichkeit erfassen wir als Kontextbedingung der von uns untersuchten Prozesse (à SFB-Ziel 2: Staatlichkeit als Kontextbedingung von Governance).
Bericht
Das Teilprojekt C3 „Öffentliche Sicherheit als Governance: Policing in Transformations- und Entwicklungsländern“ fragte in der ersten Phase danach, welche staatlichen, nicht-staatlichen, nationalen und internationalen Akteure und Akteurskonstellationen Beiträge zur Herstellung innerer Sicherheit als öffentliche und rechtsstaatlich gebundene Sicherheit leisten. Untersucht wurde die Frage zum einen anhand eines Vergleichs auf der Makroebene zwischen Mexiko und Argentinien. Dabei handelt es sich um Staaten, deren Demokratie durch schwache Rechtsstaatlichkeit gekennzeichnet ist. Beide zeichnen sich durch eine relativ hohe Dichte staatlicher und nicht-staatlicher Institutionen mit ausgeprägten formellen und informellen Strukturen aus. Zum anderen gelang mit Hilfe des Vergleichs von zwei sozio-ökonomisch unterschiedlichen Stadtteilen (Iztapalapa und Coyoacán in Mexiko-Stadt und Villa Lugano und Palermo in Buenos Aires) in den beiden Hauptstädten eine empirisch fundierte Rekonstruktion unterschiedlicher lokaler Akteure und Akteurskonstellationen auf der Mikroebene. Folgende Ergebnisse können festgehalten werden:
Rights und Order Coalitions als unterschiedliche Akteurskonstellationen
Zunächst konnten wir an unseren Fallbeispielen zeigen, dass die rechtsstaatlich gebundene Sicherheitserbringung sowohl auf der Makro- wie auf der Mikroebene als defizitär einzuschätzen ist. In beiden Ländern haben wir es mit Bedingungen mangelnder bzw. fehlender Rechtsstaatlichkeit zu tun, unter denen Sicherheit hergestellt wird. Im Kontext schwacher Rechtsstaatlichkeit, eines unzulänglichen Schutzes der Menschenrechte und der physischen Sicherheit der Individuen sowie des Versagens staatlicher Sicherheitsakteure, wie der Polizeikräfte, konnten wir unterschiedliche Akteurskonstellationen identifizieren, welche auf diese Situation reagieren und die bestehenden Defizite zu überwinden suchen.
Eine wesentliche Erkenntnis der ersten SFB-Phase ist die analytische Unterscheidung zweier Akteurskonstellationen, bestehend aus lokalen und internationalen nicht-staatlichen Akteuren, die sich für die Verbesserung von Security Governance in den untersuchten Räumen begrenzter Staatlichkeit einsetzen: rights und order coalitions (Fuentes 2005). Rights coalitions, welche neben lokalen Menschrechtsgruppen vor allem internationale Akteure wie z.B. NGOs und internationale Gerichtshöfe umfassen, zielen auf öffentliche, d.h. rechtsstaatlich gebundene Sicherheit. Order coalitions, bestehend aus lokalen und internationalen think tanks, privaten Unternehmen, lokalen Opfergruppen etc., fokussieren auf physische Sicherheit und Verbrechensbekämpfung (Braig/Stanley 2007; Stanley 2008). Beide Ziele sind weder kongruent noch zwingend komplementär, im Gegenteil zeigen die Ergebnisse des Teilprojekts, dass die Ziele kompetitiv verfolgt werden können. So sind Vertreter der „order coalition“ u.U. bereit, Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit zugunsten einer verbesserten physischen Sicherheit zurückzustellen. Dabei konnte beobachtet werden, dass die Art der (Darstellung der) Sicherheitsprobleme Einfluss auf die Art der von Akteurskonstellationen nachgefragten Security Governance hat (à C2 Chojnacki für ähnliche Befunde). Diese Beobachtung soll in der zweiten SFB-Phase systematisch untersucht werden.
Makro-Ebene des Nationalstaates versus Mikro-Ebene der Stadtteile
Auf der Mikroebene der Stadtteile finden sich andere Akteure und Akteurskonstellationen als auf der Ebene der Hauptstadt und des Nationalstaates. Der erste Unterschied macht sich an der direkten Einbeziehung externer Akteure in die Sicherheitsherstellung fest. In den Mikrostudien wurde deutlich, dass die Präsenz und die Wirkung der externen Akteure in beiden Koalitionen meist nur auf der Makro- und Mesoebene nachzuweisen ist. In den von uns untersuchten Stadtteilen sind sie kaum bekannt und so gut wie nicht präsent. Sie werden nur in Einzelfällen herangezogen und wirken insbesondere indirekt in den Bezirken, beispielsweise über zero tolerance Strategien oder community oriented policing Programme (Feth/Müller 2006; Müller 2008b).
Ein zweiter Unterschied lässt sich an den als Sicherheitsproblemen wahrgenommenen Phänomenen festmachen. In den Mikrostudien wird deutlich, dass für die Bewohner oftmals andere Sicherheitsprobleme Vorrang haben, als sie auf der Ebene der Hauptstadt oder des Nationalstaates von den dort relevanten Akteuren, insbesondere auch den externen, formuliert werden. Gerade am Beispiel Mexiko wird deutlich, dass externe Akteure entweder eine eigene Sicherheitsagenda verfolgen (wie Drogenbekämpfung durch die amerikanische Drug Enforcement Administration [DEA]) oder an einem paradigmatischen Fall interessiert sind (wie Menschenrechtsverletzungen durch Polizeikräfte). Die damit verbundenen Akteurskoalitionen erreichen die alltäglichen Probleme (wie Autodiebstahl, Expressentführungen, Gewalt gegen Frauen und Kinder) nicht.
Vor dem Hintergrund der in den Stadtteilen artikulierten Sicherheitsprobleme, haben wir den anfänglich auf die Bereitstellung öffentlicher (im Sinne von rechtsstaatlich gebundener) Sicherheit konzipierten Sicherheitsbegriff um die Dimension der Erbringung von physischer Sicherheit erweitert. Zugleich wurden Governance-Strukturen und -Prozesse in den Blick genommen, die eine Bindung an Regeln, die allgemein akzeptiert werden, ermöglichen, die aber nicht notwendigerweise rechtsstaatlich gebunden sind. Hierdurch wurde es möglich, eine Vielzahl von Akteurskonstellationen zu identifizieren, die auf der Mikroebene in den Alltagspraxen der Sicherheitsherstellung miteinander interagieren und stärker auf die physische Sicherheit abstellen.
Die auf der Mikroebene identifizierten Akteure setzen sich zusammen a) aus einer wachsenden Zahl unterschiedlichster kommerzieller Sicherheitsunternehmen, in die auch internationale Sicherheitsfirmen eingebunden sind, b) aus auf Reziprozität basierenden Nachbarschafts- und Verwandtschaftsgruppen sowie c) aus Mitgliedern lokal verorteter politischer Klientelbeziehungen und vor Ort agierenden Schutz-Gangs. Die Zusammensetzung differiert nach sozio-ökonomischen aber auch nach sozio-kulturellen Unterschieden. So greifen einkommensstarke Gruppen in beiden Ländern stärker auf private Sicherheitsdienste zurück und stellen Forderungen an Polizei und Justiz (deutlicher ausgeprägt in Argentinien); einkommensschwächere Schichten wenden sich dagegen eher von diesen ab und politischen Klientelstrukturen zu. In Mexiko-Stadt treten sozio-kulturelle Besonderheiten deutlicher zu Tage als in Buenos Aires. So verfügen die in Mexiko-Stadt immer noch vorzufindenden indigenen Dorfstrukturen, mit ihrer Kirchen- und Festkultur, über bedeutend mehr Akteure und Instrumente, um Sicherheit (im Sinne einer an Regeln gebundene Sicherheit für alle) herzustellen, als etwa andere Wohnformen, wo weniger soziale Kohäsion vorzufinden ist.
Zusammengefasst ergibt sich, dass wir es auf unterschiedlichen territorialen und politischen Ebenen mit unterschiedlichen Herausforderungen für Security Governance zu tun haben. Auf der Stadtteilebene dominieren andere Sicherheitsbedürfnisse als auf der metropolitanen oder gar der nationalen Ebene. Die unterschiedlichen Bedürfnisse übersetzen sich in unterschiedliche Anforderungen. Besonders komplex wird die Agenda für Security Governance dann, wenn externe Akteure mit eigenen Sicherheitsvorstellungen hinzutreten. Nachdem bislang der Bereich der lokalen Produktion von (Un-) Sicherheit untersucht wurde, soll das Projekt nun das in Lateinamerika äußerst bedeutsame (Un-) Sicherheitsphänomen transnationaler organisierter Kriminalität in den Blick nehmen.
Selbstorganisation bei der Herstellung von Sicherheit
Auf der Mikroebene in den Stadtteilen wurde darüber hinaus deutlich, dass da, wo staatliche Akteure einen Unsicherheitsfaktor darstellen oder das Gewaltmonopol nach innen nicht durchsetzen können, die Bevölkerung auf die Mobilisierung eigener Ressourcen, und die Einzelnen auf eine hohes Maß an Selbstverantwortung verwiesen sind. Die Selbstorganisation von Sicherheitsproduzenten äußert sich einmal in der wachsenden Nachfrage nach Sicherheitsleistungen kommerzieller Sicherheitsausstatter und –produzenten. Zum zweiten drückt sich die erhöhte Selbstverantwortung in der Art und Weise aus, wie bestimmte nicht-staatliche Gewaltakteure auf die (Selbst)disziplinierung der Individuen einwirken. Einzelne Personen oder Gruppen vermeiden zu gewissen Zeiten bestimmte Orte, nicht weil ihnen dies durch staatliche Akteure aufgezwungen würde (wie beispielsweise in Zeiten der Militärdiktaturen), sondern weil niemand für ihre physische Sicherheit garantieren kann. Aus dem Nebeneinander konkurrierender Sicherheitserbringer (Akteurskonstellationen) und vor dem Hintergrund der Unfähigkeit des Staates, „befriedete Räume“ (Elias 1976: 320) zu garantieren, entsteht eine Art Selbstdisziplinierung und -kontrolle. Diese ist weniger durch den Staat und seine Disziplinarinstitutionen geprägt, als durch das konkurrierende und konfliktlastige Zusammenspiel staatlicher und nicht-staatlicher Akteure. Die Bedingungen der Sicherheitsherstellung werden daher von den Gewaltakteuren in hohem Maße selbst beeinflusst und hängen zentral davon ab, wie weit sie zur Sicherheitsproduktion beitragen können. Diese Fähigkeiten hängen weniger von sozio-ökonomischen Faktoren ab, sondern von Ausprägungen der Staatlichkeit (Klientelismus, Korruption, Präsenz und Qualität staatlicher Institutionen u.a.) und dem Grad der sozialen Kohäsion (Bedeutung der Familie, der Nachbarschaft, des Kirchensprengels, des Dorfes in der Stadt bzw. anderen Siedlungsformen).
Kontrafaktische Erwartungen an den Staat als Sicherheitserbringer
Unser Akteursmapping auf der Makro- und Mikroebene zeigte, dass die staatlichen Polizeikräfte hoch fragmentiert sind. Zugleich folgen sie unterschiedlichen, nicht immer eindeutig zuzuordnenden Handlungslogiken. Sie stellen nicht selten einen Unsicherheitsakteur (mehr) für die lokale Bevölkerung dar. Die Interviews auf der Stadtteilebene zeigen jedoch ebenso wie die Forderungen der Akteure der order- und der rights coalition, dass trotz der Probleme der lokalen Polizeiapparate (Korruption, Polizeigewalt, Verbindungen zu organisierter Kriminalität) es vor allem diese staatlichen Institutionen sind (und nicht etwa private Sicherheitsanbieter oder informelle Sicherheitsarrangements), an welche die meisten Sicherheitserwartungen gestellt werden. Allerdings fallen Erwartungshaltungen und Leistungserbringung dabei in der Regel auseinander.
Trotz äußerst mäßiger Performance wird die Polizei – und damit der Staat – also weiterhin als für die Sicherheit zuständiger Akteur angesehen. Auch in anderen Teilprojekten (à C1 Zürcher) konnte gezeigt werden, dass die Erwartungen an staatliche Akteure als Sicherheitserbringer hoch sind, auch wenn die Kapazitäten hierfür gar nicht vorhanden sind (à SFB-Ziel 2: Staatlichkeit als Kontextbedingung von Governance). Diese Orientierung auf den Staat als Sicherheitserbringer ist insofern nicht selbst evident, als die untersuchten Gemeinden über vielfältige Erfahrungen mit privaten Sicherheitsanbietern verfügen: Sicherheit als Ware ist eine empirische Realität in vielen Stadtteilen. In der zweiten SFB-Förderperiode soll nun untersucht werden, ob diese Zuschreibung gleichermaßen für transnationale Sicherheitsherausforderungen gilt.
Pfadabhängigkeiten der Sicherheitsherstellung: Argentinien vs. Mexiko
Der Ländervergleich hat die Pfadabhängigkeit der jeweiligen Sicherheitsherstellung auf der Makroebene deutlich gemacht. So entstanden in Argentinien, während der Zeit der Militärdiktatur, Akteure der legal accountability, die im Übergang zur Demokratie auf die juristische Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen und auf die Etablierung von Rechtsstaatlichkeit gedrängt haben. Einige dieser zivilgesellschaftlichen Akteure veränderten im Demokratisierungsprozess ihr Aktionsspektrum, indem sie sich gegen Fälle aktueller Polizeigewalt wandten. Sie fungieren heutzutage im Rahmen der rights coalition und bringen ihre Netzwerke, ihr Wissen und ihre Erfahrungen in die Entwicklung des Schutzes der rechtlichen Ordnung ein. Zugleich wirkt der mit der weltweiten Kritik an den Menschenrechtsverletzungen der Militärdiktatur verbundene internationale Legitimierungsdruck, die Menschenrechte zu beachten, länger und deutlicher nach als im Fall Mexikos.
Eindeutig ausgeprägter sind in Buenos Aires die von Akteuren der rights coalition aufgebauten Strukturen und Netzwerke, die Governance-Modi hervorbrachten, in denen Fragen nach der rechtsstaatlichen Bindung der Sicherheitsproduktion im Zentrum stehen. In Mexiko, wo zivilgesellschaftliche Organisationen erst seit kurzem an Bedeutung gewinnen und hierbei von externen Akteuren massiv unterstützt werden, sind sie weniger einflußreich als in Buenos Aires. Wir können damit den Befund von B2 Börzel bestätigen, dass zivilgesellschaftliche Organisationen nicht allein aufgrund der Förderung von außen an Autonomie gewinnen, sondern auf die Entwicklung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie im Innern angewiesen sind. Zugleich jedoch sind sie selbst Teil dieser Entwicklung. Für zivilgesellschaftliche Organisationen sind also enabling structures grundlegend, die eine Kommunikation und Kooperation zwischen zivilgesellschaftlichen und staatlichen Akteuren sowie zwischen verschiedenen staatlichen Instanzen ermöglichen.
Die Relevanz von Institutionen auf der Makroebene
Der historische Vergleich hat darüber hinaus auf der Makroebene die Relevanz eines breiten Ensembles von Institutionen deutlich werden lassen, deren Präsenz sowie konkrete Funktionsweise von uns als entscheidende Bedingungen für die erfolgreiche Forderung nach einer an legale Verfahren und Normen gekoppelten Sicherheitserbringung identifiziert wurde. Insbesondere die Ausprägung der lokalen Justizstrukturen und deren Offenheit für die erfolgreiche Artikulation rechtsstaatlicher Belange, erwies sich als von zentraler Bedeutung für die rechtsstaatliche Rückgebundenheit der lokalen Sicherheitserbringung – allerdings zumeist in einem negativen Sinne. Doch trotz der negativen Erfahrungen mit Justiz und Polizei - beide Institutionen gelten in unseren Länderbeispielen als ineffektiv und kontraproduktiv für die Herstellung öffentlicher Sicherheit - bleiben die Erwartungen an den Staat als Erbringer von Governance-Leistungen im Bereich Sicherheit positiv konnotiert. Diese Erwartungen reflektieren nicht nur die Kapazitäten des Staates (à C1 Zürcher). Sie gelten auch, bezogen auf die rechtsstaatliche Bindung der Herstellung von Sicherheit, wenn in der Praxis rechtsstaatliche Governance-Leistungen nicht oder nur sehr rudimentär „als staatliche Veranstaltungen im Angebot“ sind (à B7 Schuppert).
In diesem Kontext wenden sich Akteure der legal accountability an externe Organisationen (wie Amnesty International) und Institutionen (wie den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte), um auf einer Mesoebene neuartige Vernetzungen und Interaktionen zwischen verschiedenen internationalen, externen, nationalstaatlichen und lokalen Akteuren zu ermöglichen, und über Einzelfälle und Einzelurteile den eigenen Staat zur Anerkennung und Umsetzung internationaler Normen zu bewegen. Über eine zumindest partielle Externalisierung von Security Governance erhoffen sich lokale Akteure der legal accountability also eine Art Boomerang-Effekt (Keck/Sikkink 1998; Risse/Ropp/Sikkink 1999), der bewirkt, dass der Trennung von Erwartungs- und Ordnungssicherheit auf der nationalstaatlichen Ebene durch externe Akteure entgegengewirkt wird. Allerdings zeigte sich hier erneut die Relevanz der lokalen Ausprägungen der enabling structures, in denen externe oder international vermittelte Governance-Interventionen oder –Impulse angeeignet werden können sowie deren historische Pfadabhängigkeit. Während in beiden Ländern grundlegende Hindernisse von Seiten der lokalen Justizinstitutionen existieren, eine rechtsstaatliche Sicherheitserbringung entschieden durchzusetzen (was sich z.B. in der weitgehenden Straffreiheit für Angehörige der lokalen Polizeiapparate bei Menschenrechtsverletzungen zeigt), hat der Vergleich deutlich gemacht, dass in Argentinien, im Unterschied zu Mexiko, aufgrund der historischen Erfahrung und der Stärke der lokalen Zivilgesellschaft durchaus erfolgreiche Boomerang-Effektezu beobachten sind. Entscheidend für die negative Bilanz Mexikos sind sowohl die Strukturen des mexikanischen Justizsystems, welche nur bedingt durchlässig für die Entscheidungen internationaler Gerichtsbarkeit sind, als auch der fehlende politische Wille staatlicher Institutionen und die relative Schwäche der mexikanischen Zivilgesellschaft.
Unterschiedliche Governance: Physische Sicherheit vs. rechtsstaatlich gebundene Sicherheit
Unterschiedliche Governance-Arrangements konnten wir sowohl in Bezug auf die Dimension der rechtsstaatlichen Erbringung von Sicherheit wie auch bezüglich der Bereitstellung von physischer Sicherheit identifizieren (à SFB-Ziel 1: Modi der Handlungskoordination und Machtverhältnisse). Hier scheint der „Schatten der Hierarchie“ des Staates oft nur eine geringe Rolle zu spielen (à SFB-Ziel 2: Staatlichkeit als Kontextbedingung von Governance). Jedoch setzen staatliche Akteure vor Ort, beispielsweise die lokalen Polizeikräfte, den „Schatten der Hierarchie“ gezielt ein bzw. wirken im Schatten anderer Machtbeziehungen. So können staatliche Akteure, vermittelt über Gewalt oder Korruption, ihre Weisungen von mächtigen nicht-staatlichen Akteuren erhalten (wie Drogenbossen, lokalen Kaziquen u.a.). Sie können ihre Leistungen aber auch legal gegen Bezahlung in den Dienst von privaten Akteuren stellen (z.B. Banken, Eventveranstaltern). Die sich dabei etablierenden Governance-Modi der physischen Sicherheitsproduktion sind primär durch hierarchische, aber nicht allein staatliche, Steuerungsformen geprägt, die auf dem Schutz vor physischer Gewalt durch Korruption, politischen Loyalitäten, persönlichen Gefolgschaften oder familiären Verpflichtungen beruhen.
Dagegen scheinen die Governance-Modi rechtsstaatlicher Sicherheitsproduktion vor allem durch andere Formen von Steuerung, wie Diskursstrukturierung, arguing und Symbole, geprägt zu sein. Doch auch sie greifen auf den staatlichen „Schatten der Hierarchie“ zurück, indem sie über die internationale Rechtssprechung die national-staatliche zu verändern suchen. Für die Durchsetzung vor Ort bleiben die lokalen Akteure der legal accountability wiederum auf Formen der Steuerung durch framing und Argumentieren angewiesen. Was sich dabei herausbildet, sind staatliche und nicht-staatliche Institutionen, die über konkrete Erfahrungen mit unterschiedlichen Governance-Modi verfügen, die Formen von legal accountability hervorbringen und wirksam werden lassen. Daraus ergibt sich ein wichtiger Befund der ersten Phase: Die Dichte und Reichweite derartiger Strukturen zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Institutionen und Einrichtungen, bringen eine Konsistenz der Security Governance hervor, die durch die Verhandlungsmacht zivilgesellschaftlicher Akteure mit staatlichen Institutionen geprägt ist. Solche Strukturen sind in beiden Städten durchaus vorhanden – in Buenos Aires jedoch durch die aktivere Zivilgesellschaft deutlicher ausgeprägter als in Mexiko-Stadt.
Darüber hinaus hat die erste Förderperiode des Projekts folgende Befunde erbracht, die über das ursprüngliche Projektdesign hinausgehen:
Raum als Faktor für die Sicherheitsherstellung
Es zeigte sich in beiden Städten, dass sowohl die konkreten Sicherheitsstrategien der Bevölkerung auf Stadtteilebene wie auch die staatlichen Reaktionen auf Sicherheitsprobleme, auf sozialen Konstruktionen von sicheren und unsicheren Räumen aufbauen. Die entsprechenden Vorstellungen können dabei in der Praxis nicht nur stark von der „realen“ Sicherheitsbedrohung in konkreten Räumen (z.B. in bestimmten Stadtvierteln oder Straßenzügen) divergieren, sondern sie erzeugen zugleich auch räumlich begründete Exklusionsmechanismen, welche die Selektivität und Fragmentierung der lokalen (öffentlichen und privaten) Sicherheitsstrategien verschärfen. Diese Beobachtung wird von Anja Feth im Rahmen ihrer Dissertation vertiefend bearbeitet. Am Beispiel der Organisation nachbarschaftlicher Sicherheitsnetzwerke in Buenos Aires und der Anwendung bestimmter Polizeistrategien auf einen konkreten Raum, untersucht sie folgende Fragen: Inwieweit gehen primär an Raum (hier als Verdichtung krimineller Ereignisse verstanden) gebundene Sicherheitsvorstellungen mit Identitätsvorstellungen und Ausschlussmechanismen einher, und wie wirkt sich dies auf die Qualität der lokalen Sicherheitsherstellung aus?
Fragmentierung öffentlicher Sicherheitsherstellung aufgrund von Loyalitätsbeziehungen
Während der ersten Projektphase wurde deutlich, dass die lokalen politischen Strukturen und politischer Klientelismus einen großen Einfluss auf die lokale Sicherheitsherstellung und die Zuweisung bestimmter Ressourcen (z.B. die Ausstattung bestimmter Polizeieinheiten oder die Dichte an Polizeistreifen in einem bestimmten Viertel) haben. Dieser Aspekt wird im Rahmen der Dissertation von Markus-Michael Müller bearbeitet. Ausgehend von einer historischen Rekonstruktion der Entwicklung des mexikanischen politischen Systems, der Rolle der mexikanischen Hauptstadt darin, und der Entwicklung des lokalen Polizeiapparates, untersucht er, wie sich aufgrund eines komplexen, in Mexiko Stadt verdichtenden Föderalismus unterschiedliche politische Loyalitäten in die Strukturen der lokalen Polizeiinstitutionen eingeschrieben haben. Deren Existenz hat in der Praxis zu einer hochgradig fragmentierten, entlang politischer Loyalitäten organisierten Form der Sicherheitserbringung geführt.
Wahrnehmung der Sicherheitsprobleme und Security Governance
Durch das Forschungsdesign, welches sowohl die Identifizierung verschiedener Akteure und Akteurskoalitionen auf der Mikro- als auch der Makroebene erlaubte, wurde deutlich, dass die jeweiligen Sicherheitsprobleme auf den verschiedenen Ebenen unterschiedlich wahrgenommen und definiert werden. Dementsprechend bringen sich unterschiedliche Akteure, die über unterschiedliche Erfahrungen, Wissen, Ressourcen etc. verfügen, in die Sicherheits-Govenance ein. Es zeigte sich,dass Zusammensetzung, Stärke und Wirkung der jeweiligen Koalitionenebenso wie die Art der hieraus resultierenden Governance-Modi, entscheidend von dem jeweiligen Sicherheitsproblem abhängen, aufgrund dessen interveniert wird. Dieselbe Beobachtung trifft in besonderem Maße auf die Präsenz und das Engagement sowie die Wirkung externer Akteure zu. Diese intervenieren aufgrund eines an sie herangetragenen oder für sie relevanten Sicherheitsproblems und beeinflussen damit die Herausbildung und Funktion von transnationaler Security Governance. Damit verbunden ist die Privilegierung eines bestimmten Sicherheitsproblems gegenüber anderen – etwa grenzübergreifender Drogenschmuggel gegenüber lokalen Diebstählen. Auf diesen Charakter der Sicherheitsprobleme und die Governance-Interventionen externer Akteure sowie die damit verbundenen lokalen Aneignungs- und Ablehnungsprozesse fokussieren wir in der zweiten Förderperiode. Dabei begreifen wir die Wahrnehmung und Definition von grenzüberschreitenden Sicherheitsproblemen als Teil transnationaler Security Governance – im Sinne von Sprechakten, die ein bestimmtes Problem erst zu einem Sicherheitsproblem machen (Buzan/Waever/Wilde 1998; Holzinger 2007).
Geplante Weiterführung des Teilprojektes
Forschungsziele und Leitfragen
In der zweiten Förderperiode untersucht das Teilprojekt am Beispiel von Mexiko und Zentralamerika die folgende Frage: Wie tragen externe Akteure und transnationale Akteurskoalitionen zur transnationalen Security Governance bei? Dabei konzentrieren wir uns jetzt auf einen Aspekt öffentlicher Sicherheit, nämlich die Bekämpfung organisierter Kriminalität (insbesondere den grenzüberschreitenden Drogenhandel). Wir untersuchen vor allem, wie die diskursiven und operativen Governance-Interventionen externer Akteure durch lokale Aneignungs- und Abwehrprozesse interpretiert, angepasst, umgedeutet oder auch abgewiesen werden (à SFB-Ziel 4: Aneignungs- und Abwehrprozesse in Räumen begrenzter Staatlichkeit, à C1 Zürcher, C6 Schröder).
Transnationale Security Governance
Unser Erkenntnisinteresse geht von folgender Problemstellung aus: Ein wachsender Teil der in Lateinamerika zu beobachtenden lokalen Sicherheitsprobleme (beispielsweise diejenigen, die mit illegalen Bewegungen von Menschen, Gütern, Dienstleistungen, Geld, Praktiken und Ideen etc. verbunden sind), hat seinen Ursprung häufig außerhalb des Landes, in dessen Territorium diese Probleme konkret auftreten. Angesichts der vielfältigen grenzüberschreitenden Sicherheitsprobleme, wird die Herstellung von Sicherheit als Funktion transnationaler Governance betrachtet. Sie wird von unterschiedlichen Akteuren als eine Aufgabe jenseits des Nationalstaates formuliert.
Der transnationale Charakter von Security Governance resultiert also aus zwei Dimensionen: Einmal aus dem grenzüberschreitenden Charakter des Sicherheitsproblems, und zum Zweiten aus der Beteiligung externer Akteure an der Sicherheitsherstellung (Schneckener/Zürcher 2007: 205-223). In unserem Teilprojekt sprechen wir dann von transnationaler Security Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit, wenn aufgrund grenzüberschreitender Sicherheitsprobleme, die von den betroffenen Nationalstaaten allein nicht bewältigt werden können (bzw. wenn sich diese weigern, sie alleine zu bewältigen), externe Akteure zur Sicherheitsherstellung beitragen.
Unter transnationaler Security Governance verstehen wir die jeweils spezifische Bereitstellung von Governance-Leistungen im Bereich der Sicherheit (Johnston/Shearing 2003; Shearing/Wood 2003; Wood/Shearing 2007; Wood/Dupont 2006), und zwar
(a) die Bereitstellung des Gutes „Sicherheit“ (Verbrechensbekämpfung, Gewaltkontrolle, physische Sicherheit),
(b) die Bereitstellung verbindlicher Regelungen für Sicherheitserbringung, und
(c) die rechtstaatliche Bindung der Sicherheitsherstellung.
Die Aufteilung der Governance-Leistung Sicherheit („abhängige Variable“ des Teilprojekts) in „physische Sicherheit“ und „rechtsstaatlich gebundene Sicherheit“, ist ein wichtiges Ergebnis der mikropolitischen Analyse auf Ebene der Stadtteile, das während der ersten Projektphase herausgearbeitet wurde (s.o.). Wir konnten hier zeigen, dass die Bereitstellung physischer Sicherheit mit akzeptierten Regeln einhergehen kann, diese aber nicht rechstaatlich gebunden sein müssen. Die drei Arten von Sicherheitsleistung (physische Sicherheit, akzeptierte Regeln und rechtstaatliche Regelbindung) sind per se nicht dichotom zu verstehen. Es handelt sich um unterschiedliche Aspekte der Herstellung von Sicherheit, die miteinander verbunden sein können oder auch nicht. Die drei Sicherheitsleistungen können sich komplementär verhalten oder ausschließen (abhängig von den sie einfordernden und den sie erbringenden Akteurskonstellationen). Im Ergebnis kann dies zu Formen selektiver Governance-Leistungen führen.
Auf der Makroebene ging es in der ersten Förderperiode weniger um die Herstellung „physischer Sicherheit“ für einzelne Personen in spezifischen Kleinräumen (Stadteilen, Straßenzügen), sondern Sicherheit wurde abstrakter gefasst. Im Fortsetzungsantrag knüpfen wir daran an und verstehen physische Sicherheit insbesondere auch als Schutz vor Gewalt, als Gewaltkontrolle und als Herstellung von Ordnung (à C2 Chojnacki). Bei der nun zu untersuchenden transnationalen Security Governance, entscheiden die Wahrnehmungen und Definitionen des jeweiligen Sicherheitsproblems, die beteiligten Akteure und deren Machtposition sowie deren Lösungsvorschläge darüber, worauf sich die Erbringung der Governance-Leistung Sicherheit im Einzelnen bezieht.[1]
Dementsprechend haben wir unsere Fälle ausgewählt. Die Fallauswahl zielt darauf ab, ein Spektrum transnationaler Security Governance zu erfassen, wobei sich Sicherheit auf Schutz vor Gewalt (wie bei der Verbrechensbekämpfung = Fall 1), auf verbindliche Regelsetzungsmechanismen (wie bei Verfahren gegen Geldwäsche = Fall 2) oder auf die Verankerung rechtsstaatlicher Regelungen bezieht (wie beim Kampf gegen Straflosigkeit bzw. Strafvereitelung durch staatliche und politische Akteure = Fall 3).
Externe Governance-Interventionen und Aneignungs- und Abwehrprozesse
Die an transnationaler Security Governance beteiligten externen Akteure können aus einem mit dem Sicherheitsproblem verbundenen Kontext (beispielsweise Vertreter der US-Regierung oder der Nachbarländer) kommen, oder aus einem davon unabhängigen (beispielsweise die Organisation Amerikanischer Staaten [OAS], Menschenrechtsgruppen etc.). Im Fall Mexikos und Zentralamerikas sind externe Akteure Vertreter hegemonialer Staaten (USA) oder anderer Staaten (Nachbarländer oder Mitgliedsstaaten der EU) aber auch Vertreter multilateraler Organisationen sowie nicht-staatliche Akteure (wie internationale Menschenrechts-NGOs). Sie können sich, wie philanthropische Organisationen, stärker aus eigenen Interessen oder aufgrund von Anrufung durch lokale und nationale Akteure in den vom Sicherheitsproblem unmittelbar betroffenen Räumen an transnationaler Security Governance beteiligen. Externe Akteure, das konnten wir bereits in der ersten Phase zeigen (Stanley/Figari-Layús/Müller 2009), verfolgen eigene Agenden und lassen sich von verschiedenen Motiven bei ihrer Intervention leiten (Goldshmith/Sheptycki 2007).
Was uns im Teilprojekt C3 vor allem interessiert, ist die Wirkung unterschiedlicher externer Akteure auf transnationale Security Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit (in unserem Fall Mexiko und Zentralamerika). Die Wirkung externer Akteure auf sich herausbildende, sich institutionalisierende oder auch auf sich wieder auflösende Governance untersuchen wir in Bezug auf lokale Aneignungs- und Abwehrprozesse (à SFB-Ziel 4: Aneignungs- und Abwehrprozesse in Räumen begrenzter Staatlichkeit). Unter Aneignungsprozessen verstehen wir das Übernehmen bzw. affirmative Einschreiben lokaler Akteure in die von externen Akteuren entworfenen Security Governance-Diskurse, bzw. deren Einbettung in lokale Diskurse und Praktiken. Eine Ablehnung hingegen bezeichnet die Negierung bzw. Weigerung lokaler Akteure, externe Governance-Interventionen zu implementieren. Allerdings stehen sich die beiden Prozesse nicht so ausschließend gegenüber. In der Empirie finden in beiden Prozessen Modifikationen im Sinne von Übersetzungsprozessen statt (à A1 Risse/Lehmkuhl).
Ein besonderes Augenmerk richten wir auf externe Governance-Interventionen, die auf die „Herstellung und Implementierung verbindlicher Regelungen“ als Aspekt transnationaler Security Governancegerichtet sind. Hier fragen wir, ob sich einzelne Regierungen über die Externalisierung bzw. Internationalisierung durch eine order coalition mit dem hegemonialem Partner (der als Schatten der Hierarchie dient) aus der Verantwortung ziehen wollen, oder ob eine rights coalition entsteht, in der es den kooperierenden externen und internen Akteuren gelingt, die accountability von Sicherheitserbringung vor Ort zu stärken.
Security Governance als emergenter Prozess
Eine Verstetigung von Governance-Strukturen kann in Räumen begrenzter Staatlichkeit nicht a priori unterstellt werden; dies bleibt für uns eine empirische Frage (à SFB-Ziel 5: Von der Produktion privater Güter zu Governance). Insbesondere kann nicht von einem linearen Prozess ausgegangen werden. Transnationale Security Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit ist vielmehr, in Anlehnung an Edgar Grande und Rainer Prätorius (2003), als Resultat emergenter Prozesse zu verstehen, im Sinn der durch äußere Impulse angestoßenen Herausbildung von Strukturelementen und Reaktionsweisen, die zu unterschiedlichen Governance-Formen führen können. Dabei lässt sich die Herstellung von Sicherheit nicht allein auf die Intentionen der daran beteiligten Akteure zurückführen, sondern sie entsteht vielmehr in einem komplexen und teilweise widersprüchlichen Interagieren der Beteiligten im Rahmen von Aneignungs- und Abwehrprozessen. So können sich beispielsweise externe Governance-Interventionen dadurch verändern, dass zivilgesellschaftliche Akteure kritisch auf zwischen-staatliche Initiativen reagieren – wie im Fall der Mérida-Initiative geschehen. In diesem Fall wurde sowohl in den Verhandlungen zwischen den beteiligten Regierungen als auch durch die diskursive Intervention zivilgesellschaftlicher Akteure der Region versucht, diesen auf Betreiben der Regierungen der USA und Mexikos zustande gekommenen Versuch transnationaler Security Governance zu beeinflussen (Maihold/Zilla 2008).
Empirischer Bezug: Transnational organisierte Kriminalität in Räumen begrenzter Staatlichkeit
Der empirische Bezugspunkt in unserem Teilprojekt sind grenzüberschreitende Sicherheitsprobleme, wie sie in Mexiko und Zentralamerika (lokal, nationalstaatlich, regional) manifest werden. Diese transnationalen Sicherheitsprobleme werden in der Regel mit organisierter Kriminalität (wie dem illegalen Schmuggel von Drogen, Waffen und Menschen sowie mit Geldwäsche) in Verbindung gebracht. Definition und Abgrenzung grenzüberschreitender Kriminalität, sind jedoch nicht immer klar und meist selbst schon Teil der Governance-Intervention bzw. Gegenstand von Aneignungs- und Abwehrprozessen.
So finden legale Aktivitäten oft in informellen Institutionen, und damit in Grauzonen, in denen sie leicht kriminalisiert werden können, statt. Dies gilt insbesondere für mit der Massenmigration verbundene informelle Tätigkeiten und Bewegungen. Nicht selten kommt es zu mehr oder weniger losen Verbindungen, Überformungen und Verquickungen, die eine klare Abgrenzung zwischen legalen und illegalen Handlungen sowohl für die Bewegung von Menschen als auch von Waren und Geld schwierig gestalten. Verkompliziert werden die Definitions-, Wahrnehmungs- und Abgrenzungsprobleme darüber hinaus dadurch, dass grenzüberschreitende Sicherheitsprobleme nicht selten durch Externalisierung aus einem nationalen bzw. lokalen Kontext in einen anderen entstehen (beispielsweise durch die Deportation jugendlicher Straftäter aus den USA nach Zentralamerika bzw. Mexiko; vgl. Huhn/Oettler/Peetz 2008; oder dem Waschen von Gewinnen aus dem US-Drogenverkauf in Zentralamerika bzw. Mexiko).
Schließlich haben illegale Aktivitäten, insbesondere im Rahmen der organisierten Kriminalität, oft mit der Unfähigkeit staatlicher Institutionen bzw. mit dem fehlenden Willen der verantwortlichen Eliten zu tun, diese zu bekämpfen. Um organisierter Kriminalität effektiv entgegentreten zu können, müssen Bedingungen vorhanden sein, welche dies ermöglichen. Wir haben diese in der ersten Phase als enabling structures für Governance-Prozesse identifiziert. Im Einzelnen zählen hierzu: Konsistenz staatlichen Handelns, Professionalisierung und Kapazitätenbildung bei den entsprechenden Institutionen, engagierte zivilgesellschaftliche Akteure und ein politischer Wille bei den verantwortlichen Eliten. In vielen Räumen begrenzter Staatlichkeitfehlen derartige Strukturen allerdings bzw. wurden zerstört. Die „Kriminalisierung von Politik und Staat“ (Bayart/Stephen/Hibou 1999) ermöglicht es einem weitverzweigten Netz organisierter Kriminalität, die darin gefangenen Staaten zu unterminieren oder gar zu übernehmen. Einige Autoren sprechen in diesem Zusammenhang von der Herausbildung von captive states (Beltrán 2007) oder gar captured states (Hellman/Jones/ Kaufmann 2000; Matsuda/Senderowitsch 2007; Grzymala-Busse 2008).
Die Räume begrenzter Staatlichkeit sind in unserem Fall (Mexiko und Zentralamerika)durch weit reichende Netzwerke der organisierten Kriminalität einerseits und einen Mangel an Rechtsstaatlichkeit in den betroffenen Staaten und die damit einhergehende ausgeprägte Straflosigkeit andererseits geprägt. Die organisierte Kriminalität stellt für Märkte sowohl illegale wie legale Güter und Dienstleistungen bereit, wobei sie sich – abhängig von der Konsistenz staatlichen Handelns – auf einen de facto oder sogar de jure-Schutz durch staatliche Organe stützen kann (Jordan 1999: 71). Organisierte Kriminalität zeichnet sich dadurch aus, dass sie in der Lage ist, staatliches Handeln zu unterminieren oder dieses sogar für ihre eigenen Zwecke dienstbar zu machen. Das Teilprojekt fokussiert somit auf Sicherheitsprobleme in Zusammenhang mit grenzüberschreitender, transnationaler organisierter Kriminalität, deren Bewältigung die Interaktion einer Vielzahl staatlicher und nicht-staatlicher, lokaler und transnationaler Akteure notwendig macht (Sheptycki 2000: 7; Andreas/Nadelmann 2006: 245-253).
Operationalisierung und Methoden
Das Forschungsdesign orientiert sich an soziologischen Forschungsansätzen (insbesondere Pries 2008a, b), die als Bezugseinheit nicht einzelne Staaten, sondern „transnationale Sozialräume“ in den Blick nehmen. In unserem Fall sind dies Räume transnationaler Security Governance, wie sie die Mérida Initiative, die Financial Action Task Force (FATF) und internationale Kommissionen gegen Straflosigkeit (Comisión Internacional contra la Impunidad en Guatemala (CICIG) und die GrupoConjunto in El Salvador darstellen. Sie bilden die empirischen Untersuchungseinheiten, wobei wir Security Governance als emergenten Prozess durch die Fokussierung auf verschiedene Governance-Interventionen externer Akteuren herauszuarbeiten versuchen.
Operationalisierung
„Abhängige Variable“: Transnationale Security Governance[2]
Unsere abhängige Variable „transnationale Security Governance“ hat drei Merkmalsausprägungen: Gewaltkontrolle, verbindliche Regelungen, rechtsstaatliche Bindung (s.o.), die allein oder in Kombination auftreten können. Unsere Operationalisierung kann hier nicht auf quantitative Messbarkeit zielen, denn Messbarkeit müsste vor allem auf Kriminalitätsstatistiken rekurrieren. Diese sind problematisch: „Statistics about crime and delinquency are probably the least reliable of all officially published figures on social issues” (Giddens 1997: 181). In den von uns untersuchten Räumen begrenzter Staatlichkeit, das konnten wir in der ersten Phase zeigen, werden die Daten unsystematisch erhoben, so dass keine solide Messgrundlage vorliegt. Wir gehen daher nicht davon aus, dass wir den tatsächlichen Beitrag beispielsweise der Mérida Initiative zur Verbrechensbekämpfung oder gar zu einer Erhöhung der physischen Sicherheit in deren Rahmen quantifizieren könnten. Wahrscheinlich wäre ohnehin das Gegenteil der Fall.
Allerdings bleibt die Frage, woran wir die verschiedenen Ausprägungen transnationaler Security Governance unterscheiden wollen. Folgende empirisch nachweisbare Kriterien ziehen wir zur Operationalisierung heran (vgl. Abb. 1):
(1) Was wird transferiert: welche Ressourcen (finanzielle und materielle, wie Ausrüstung, Waffen, Fahrzeuge), Instrumente, Wissentransfers (Weiterbildung, Beratung, best practice), Capacity-Building (staatliche, nicht-staatliche Institutionen)?
(2) Findet ein Normentransfer statt (Unterzeichung von Abkommen, Zustimmung zu bestimmten Verfahren), und ist dieser verbunden mit entsprechenden Kontrollinstanzen (wie Beobachtung und Evaluierung durch lokale NGOs, Einsetzung gemeinsamer Kommissionen, Etablierung von Aufsichtsorganen, Unterwerfung unter internationale Strafgerichtsprozesse)?
(3) Zwischen welchen Akteuren und Akteurskoalitionen (externen und lokalen) findet der Transfer statt (staatliche, nicht-staatliche, privatwirtschaftliche, zivilgesellschaftliche etc.), und welche sind an der Erstellung der Governance-Leistung beteiligt?
Dabei gehen wir von folgenden Annahmen aus:
Je enger die Ressourcen und Instrumente auf einen spezifischen Akteurskreis (klassische Sicherheitsorgane, staatliche und private Polizei, Militärs, Sicherheitsdienste u.ä.) gerichtet sind, desto größer dürfte die Zentrierung auf die Herstellung von Sicherheit ohne rechstaatliche Bindung sein. Insofern geben uns die Instrumente- und Ressourcenvielfalt sowie die Pluralität der einbezogenen Akteure (über den engen Kreis von Sicherheitsexperten, einschließlich Juristen hinaus) Hinweise auf die Ausprägung der transnationalen Security Governance (also ob und wenn ja, welche Governance-Leistung im Bereich Sicherheit erbracht wird).
Analytisch unterscheiden sich die beteiligten Akteure und Akteurskoalitionen danach, ob sich stärker order oder rights coalition mit der Herstellung von Sicherheit verbinden. So ist die Fokussierung auf die Herstellung von Sicherheit ohne rechtstaatliche Regelung konstituierend für order coalitions. Je stärker sich jedoch rights coalitions an der Governance-Leistung beteiligen, desto stärker dürfte sie an rechtsstaatliche Regeln gebunden sein.
„Unabhängige Variable“: Externe Governance-Interventionen
Die externen Governance-Interventionen variieren in den drei Fallbeispielen danach, welche externen Akteure, aufgrund welcher Motivation, wie und auf welcher Ebene intervenieren (vgl. Tabelle 1):
Welche externen Akteure intervenieren: Vertreter hegemonialer Staaten oder anderer, Vertreter multilateraler Organisationen sowie nicht-staatliche Akteure (privatwirtschaftliche, zivilgesellschaftliche)?
Welche Interessen/Motivationen verfolgen sie: Abkommen und Verfahren gegen illegale transnationale Märkte, gegen Geldwäsche, Kommissionen gegen kriminelle Organisationen, gegen die Unterwanderung von Politik und Staat, oder Förderung von Rechtsstaatlichkeit bzw. Etablierung von verbindlichen Regeln?
Wie intervenieren sie bzw. welche Steuerungsmodi praktizieren sie: hierarchische Steuerung (Recht/Gebote/Verbote/Sanktionen, über die lokale oder nationalstaatliche Ebene oder auch über den Schatten der Hierarchie der internationalen Gemeinschaft bzw. eines hegemonialen Staates) oder nicht-hierarchische Modi (Anreize, bargaining, arguing, diskursive Praktiken, Symbole)?
Auf welcher Ebene findet die Intervention statt: diskursiv (Diffusion von Werten und Normen, Symbole) oder operativ (Transfer von Ressourcen, Wissen, Regeln, Capacity building, monitoring, reporting)?
„Intervenierende Variablen“
Lokale Aneignungs- und Abwehrprozesse (vgl. Abb. 1 oben)
Lokale Aneignungs- und Abwehrprozesse haben Einfluss darauf, ob und wie externe Interventionen Governance-Leistungen im Bereich der Sicherheitserstellung erbringen können. Über diese Prozesse werden die Governance-Interventionen interpretiert und reinterpretiert. Um Prozesse der lokalen Abwehr und Aneignung analytisch fassen zu können, greifen wir auf den Begriff des Modeling von Karstedt (2000) zurück. Sie fokussiert damit auf Lern- und Diffusionsprozesse. Ähnlich wie Risse/Lehmkuhl (2006) und Risse (2007), fragt sie nach der „Reisefähigkeit“ von Governance, Sicherheits-Standards u.ä.m. (à A1 Risse/Lehmkuhl). Mit Modeling ist also gemeint: ”Observational learning with a symbolic content, not just the simple response mimicry implied by the term ‚imitation’“ (Braithwaite and Drahos, 2000: 580).
Empirisch lassen sich Abwehr- und Aneignungsprozesse in ihrer Auswirkung auf die transnationale Security Governance, an der sie bildenden Akteurskonstellation und an der Art der Koordination festmachen. Was die Akteurskonstellation angeht, so unterscheiden wir – wie oben erwähnt – zwischen order und rights coalitions. Diese lassen sich folgendermaßen unterscheiden:
· Problemwahrnehmung und Interessen: Die order coalition konzentriert sich auf reine Sicherheitsprobleme und ihre Behebung; die rights coalition hingegen bemüht sich um Regelsetzung, insbesondere um die rechtsstaatliche Bindung der Sicherheitsproduktion.
Machtressourcen: Die rights coalition beruht auf Experten- und Wissensnetzwerken, internationalen Netzwerken von NGOs und Medien, Kooperationen mit und Förderung durch andere Staaten, die internationale Gemeinschaft und internationales Recht sowie auf der Nutzung von symbolischem „blaming and shaming“. Die order coalition beruht auf Ressourcentransfers interessierter Staaten (wie der USA in der Mérida Initiative) oder der internationalen Gemeinschaft sowie auf Netzwerken von Sicherheitsexperten und Medien.
Die Akteurskoalitionen bilden sich durch die Interaktion zwischen Governance-Intervention und den darauf bezogenen lokalen Abwehr- und Aneignungsprozessen heraus. Diese Interaktionen lassen sich unterscheiden in einfache Übernahmen (Kopie, Mimikry) und kulturelle Aneignungen, denen Lernprozesse zugrunde liegen. Einfache Übernahmen sind bei order coalitionshäufiger anzutreffen, als bei rights coalitions. Letztere sind auf Aneignungsprozesse (kulturelle Übersetzungen) angewiesen. Die rights coalitions können genauer differenziert werden, nämlich inwieweit sie selbst lokal verankert sind bzw. Übersetzungsleistungen erbringen und Lernprozesse ermöglichen. Nicht selten stoßen sie in unseren Regionen auf starke Abwehrprozesse, wenn sie nur von einer kleinen Gruppe von Engagierten, Betroffenen und Experten getragen werden, die eine einfache Übernahme einer internationalen Norm bzw. die Einhaltung derselben vor Ort fordern.
Was die Art der Koordination zwischen externen und lokalen Akteuren angeht, so unterscheiden wir nach Simonis (2005: 318) horizontale oder vertikale Koordination:
· Bei Formen horizontaler Koordination nehmen externe Akteure auf die vorhandenen Kapazitäten staatlicher und nicht-staatlicher Institutionen Einfluss. Sie ergänzen und verstärken diese durch Transfers transnationaler Handlungskoordination und Regel(durch)setzung. Ein gemeinsamer normativer und institutioneller Rahmen wird entwickelt, um Transfers von Normen und Werten zu ermöglichen. Es werden Problemlösungsmechanismen unterstützt, die die Kooperation zwischen verschiedenen Akteuren vor Ort, staatlichen und nicht-staatlichen, etablieren, die die Beteiligten mit diesen vertraut zu machen und sie darin zu „sozialisieren“ suchen.
Vertikale Koordinationsformen sind hierarchisch strukturiert. Sie können mit hegemonialem Druck einhergehen. Sie arbeiten mit Sanktionen und können negative Folgen für einzelne Teilnehmer haben (etwa im Sinne ihrer Auslieferung und Unterstellung unter andere Rechtssysteme, wie etwa dem der USA).
Charakter des Sicherheitsproblems
Folgende Sicherheitsprobleme treten im Bereich der organisierten Kriminalität auf, wobei für uns die Wahrnehmung dieser Probleme durch die Akteure für die Wirkung auf transnationale Security Governance entscheidend ist:
Illegale transnationale Märkte (z.B. Drogen- und Waffenhandel) und Geldwäsche (Sicherheitsproblem ist marktbezogen);
Strukturierte organisierte Kriminalität (Mafia, Kartelle) und durch sie kontrollierte Territorien und Bereiche (Sicherheitsproblem ist auf kriminelle Gegenmacht bezogen);
Kriminalisierung von Politik und Staat (Unterwanderung von Politik und Staat durch Korruption, Paramilitärs, organisierte Kriminalität, state capture) (Sicherheitsproblem ist auf die Erosion von Politik und Staat bezogen).
Kontextbedingung: Enabling Structures
Enabling Structures sind Kontextfaktoren (z.B. Begrenztheit von Staatlichkeit, Schwäche bzw. Durchlässigkeit staatlicher Institutionen, àSFB-Rahmenantrag), die beeinflussen, wie lokale Akteure auf externe Governance-Interventionen reagieren.
Auswahl der Länder und Fälle
Ausschlaggebend für die Auswahl der Region und der Länderbeispiele, ist die Existenz von emergenten Prozessen transnationaler Security Governance zur Bearbeitung grenzüberschreitender Sicherheitsrisiken, die mit organisierter Kriminalität verbunden sind. Weiterhin wollen wir mit der Länderauswahl eine Varianz der nationalstaatlichen Kontexte in Bezug auf Stärke, Dichte und Konsistenz staatlicher Institutionen und die hiermit verbundene spezifische Pfadabhängigkeit erfassen,in der Ablehnungs- und Aneignungsprozesse von Governance-Diskursen lokal verortet sind. Unsere empirische Studie fokussiert auf transnationale Security Governance in Mexiko, Guatemala und El Salvador.Diese Staaten teilen grenzüberschreitende Sicherheitsprobleme, sie unterscheiden sich im Grad der Schwäche staatlicher Institutionen, den Grad der Dollarisierung ihrer Wirtschaften sowie darin, ob es sich um Post-Konflikt-Gesellschaften handelt.
Mit der Länderauswahl berücksichtigen wir Differenzen im Grad der Staatlichkeitder betroffenen Länder, der als Kontextbedingung für die Einwirkung der externen Akteure auf die Funktion transnationaler Security Governance eine zentrale Relevanz besitzt (à SFB-Ziel 2: Staatlichkeit als Kontextbedingung von Governance). Dabei unterscheiden sich die ausgewählten Länder in der Dichte der Institutionen und ihrer Qualität, d.h. in der „density of government“ (Loades 1999: 98)[3]. Sie erlauben darüber hinaus auch, Unterschiede in der „Kriminalisierung von Politik und Staat“ - im Sinne von Bayart/Ellis/Hibou (1999) - einzubeziehen.
Wie oben erwähnt, zielt die Fallauswahl darauf ab, ein Spektrum transnationaler Security Governance zu erfassen, von der (1) überwiegenden Fokussierung auf Verbrechensbekämpfung (Mérida-Initiative) über (2) die Einbeziehung von Regelsetzungsmechanismen (Bekämpfung von Geldwäsche durch die Financial Action Task Force [FATF]) bis hin zu (3) einer rechtstaatlichen Bindung der Sicherheitsherstellung (Comisión Internacional contra la Impunidad en Guatemala [CICIG]).
Ad 1: Kampf gegen die Drogenkriminalität im Rahmen unipolarer transnationaler Security Governance, die Mérida Initiative (Mexiko, Guatemala und El Salvador)
Grenzüberschreitende Sicherheitsprobleme
Mexiko ist seit den späten 1980er Jahren zum wichtigsten Transitland für Drogenlieferungen in die USA geworden. Gemeinsam mit den Staaten Zentralamerikas, bildet es die Durchgangsregion für den Drogenhandel aus Südamerika in die USA. Die damit verbundenen grenzüberschreitenden Sicherheitsprobleme sind vielfältig: Immer mehr Routen und Menschen werden in den von mexikanischen Kartellen kontrollierten Transport einbezogen; der Drogenkreislauf verschränkt sich mit Geldbewegungen, illegales Geld muss legalisiert werden; dem Schmuggel von Drogen in die USA stehen die Einfuhren von Waffen aus den USA nach Mexiko und Zentralamerika gegenüber, die für den „Krieg der Drogenbosse“ gegeneinander und gegen staatliche Institutionen eingesetzt werden; Polizei-, Militär- und Justizapparate in den betroffenen Länder werden zunehmend durch die organisierte Kriminalität unterminiert. Die Sicherheitsbehörden der Region erweisen sich als zu schwach und zu korrupt, um effektiv tätig zu werden. Vielmehr gelangen sie immer stärker unter die Kontrolle von Drogenkartellen und deren scheinbar unbegrenzte finanzielle Anreizmöglichkeiten. In diesem Zusammenhang nehmen die USA immer stärkeren und kontinuierlichen Einfluss auf die Entstehung von Arrangements transnationaler Security Governance.
Vor diesem Hintergrund und im Kontext einer massiven Militarisierung des Kampfs gegen die Drogen durch die mexikanische Regierung seit 2006, verständigte sich, im Zuge der Mérida Initiative, der mexikanische Präsident Calderón mit dem US-Präsidenten Bush im März 2007 auf einen gemeinsamen „Kampf gegen die Drogenkriminalität“. Die hier vereinbarten Governance-Interventionen sind auf das Primat der Sicherheitsherstellung im engeren Sinne (Ausrüstung und Weiterbildung von Polizei und Militär) fokussiert, was auch bereits von externen, internationalen und lokalen Akteuren als eine Militarisierung der Sicherheitsherstellung kritisiert wurde. So werden die im Juni 2008 vom US-Kongress bewilligten 1,6 Mrd. Dollar größtenteils der Finanzierung von Helikoptern, Überwachungssoftware, u.a. aus den USA, sowie dem Training und der technischen Ausbildung mexikanischer und zentralamerikanischer Sicherheitskräfte in den USA dienen. Der größte Teil dieser „Hilfsleistungen“ geht nach Mexiko, lediglich 65 Millionen Dollar sind für die zentralamerikanischen Länder (einschließlich Haiti und die Dominikanischen Republik) vorgesehen.
Was interessiert uns bei dieser Fallrekonstruktion?
Ganz offensichtlich handelt es sich hier um einen Fall, der dadurch gekennzeichnet ist, dass Governance-Interventionen von einem hegemonialen Akteur, nämlich den USA, ausgehen. Wie wirken diese in den Ländern, die sich nach ihren lokalen Bedingungen für Aneignungs- und Abwehrprozesse (Größe, Grad der Staatlichkeit, Souveränität, Relevanz der Zivilgesellschaft) unterscheiden? Bedeutsam scheint uns, dass die Mérida Initiative von Anfang an von lokalen und internationalen NGOs und think tanks kritisch begleitet, aber auch teilweise wohlwollend aufgenommen wurde. Durch die hohe mediale Aufmerksamkeit dieses Falles lässt sich besonders deutlich die konflikthafte Formierung von Akteurskoalitionen, die sowohl order als auch rights coalitions umfasst, nachzeichnen. An diesem Fall lässt sich deutlich machen, wie diese Einfluss auf die Definition des Sicherheitsproblems und auf die Funktion der Security Governance nehmen.
Ad 2: Geldwäsche als transnationale Sicherheitsbedrohung und Initiativen der Regelsetzung durch externe Akteure (Mexiko und El Salvador)
Grenzüberschreitendes Sicherheitsproblem
Der transnationale Charakter von Geldwäsche ist in der von uns untersuchten Region eng verbunden mit der Notwendigkeit, die Überführung der Erlöse aus der organisierten Kriminalität (vor allem dem Drogengeschäft) in legale Wirtschaftskreisläufe sicherzustellen. Hierfür bietet sich die dollarisierte Ökonomie El Salvadors ebenso an wie, die mexikanische Ökonomie, die aufs engste mit der US-amerikanischen verflochten ist. Durch Scheinunternehmen, Gründung eigener Banken und Immobiliengeschäfte, wird der Übergang von der illegalen in die legale Ökonomie vollzogen. Gerade angesichts der massiven – und für unsere Fälle Mexiko und El Salvador – maßgeblichen Rücküberweisungen aus den USA (à D6 Fritz), folgt daraus die Gefahr der Vermischung von legalen und illegalen Finanztransfers, die durch die Patronage von Politkern und Prominenten in besonderem Maße erleichtert wird.[4] Deren Einfluss auf die Gestaltung von Wirtschaftsbeziehungen in kleinen oder mittleren Gesellschaften bzw. in durch enge Eliten-Konstellationen geprägten Nationen, wie in El Salvador, stellt eine besondere Herausforderung dar. Diese Annahme gilt es im Vergleich mit Mexiko zu überprüfen.
Zu externen Governance-Interventionen gehören bei der Geldwäsche Formate, die bei auffälligen Geschäftsfeldern wie Trust- oder anderen Treuhandkonstruktionen, Korrespondenzbanksystemen oder Geschäftsbeziehungen, an denen politisch exponierte Personen beteiligt sind,internationale Verpflichtungen vorsehen. Insbesondere die kleinen Staaten Zentralamerikas, wie El Salvador, versuchen, durch ihre nationale Einrichtungen der Finanzaufsicht, über Datenaustausch und gemeinsame Initiativen wie KYC (Know Your Customer) Normen für ihre Geldinstitute zu etablieren (Madinger 2006). Dies geschieht allerdings im Schatten der Hierarchie der USA und deren strengern Verfahren.
Dabei haben sowohl in operativer als auch in normativer Hinsicht die Standards und Handreichungen der Financial Action Task Force (FATF) und ihre Regionalorganisationen sowie der Offshore Group of Banking Supervisors (OGBS) zentrale Bedeutung für die Ausbildung von transnationaler Security Governance gewonnen, da diese zwischenstaatlichen Organisationen – auf der Basis eines peer-review-Verfahrens – Auswertungen zu einzelnen Ländern erstellen.
Was interessiert uns bei dieser Fallrekonstruktion?
Im Unterschied zum ersten Fall, erfährt das Bemühen, die Geldwäsche durch höhere Regulierungsstandards und transnationalen Kompetenzaufbau zurückzudrängen, eine meist geringere mediale und zivilgesellschaftliche Aufmerksamkeit. Es handelt sich nicht um Kernaufgaben, mit welchen sich klassische Sicherheitsakteure und Institutionen und ihre kritischen Beobachter befassen. Der Fall ermöglicht uns eine grundlegend andere Akteurskonstellation zu betrachten. Es sind eher hoch spezialisierte Experten und Einrichtungen, die sich hier zusammenschließen. An diesem Fall lässt sich zeigen, was für die Pfadabhängigkeit lokaler Abwehr- und Aneignungsprozesse entscheidend sein dürfte, nämlich inwieweit die damit verbundenen Governance-Interventionen zu einem Autonomiegewinn für die lokalen Regierungen beitragen (im „Schatten der Hierarchie“ der USA). Dies kann es ihnen ermöglichen, angesichts der Enge der Elitenkohäsion, gegen einen Teil der eigenen Eliten und deren illegalen Aktivitäten vorzugehen. Ein solcher Spielraum der Regierungen gegenüber den eigenen Eliten, kann durch die lokale Aneignung der Verpflichtung auf internationale Standards und auf die Vorgaben der USA (wie etwa die vom Office of Foreign Assets Control (OFAC) des US-Finanzministeriums 2008 veröffentlichte Unternehmensliste) ermöglicht werden.
Ad 3: Kriminalisierung von Politik und Staat und Initiativen gegen Straflosigkeit (Guatemala und El Salvador)
Grenzüberschreitendes Sicherheitsproblem
Im Gegensatz zu den anderen beiden Fallbeispielen, ist das transnationale Sicherheitsproblem in diesem Fall primär in seiner endogenen Manifestation präsent. Es besteht in der Funktionalisierung staatlichen Handelns durch transnational operierende Netzwerke organisierter Kriminalität in Post-Konflikt-Gesellschaften wie Guatemala und El Salvador, welche sich vor allem in einer „repressiven“ Instrumentalisierung „staatlicher“ Sicherheitsorgane durch die organisierte Kriminalität zur Bedrohung/Beseitigung von Vertretern von Menschenrechtsgruppen, kritischen Intellektuellen und Repräsentanten der Kirche manifestiert.
Vor dem Hintergrund der massiven Strafvereitelung und Bedrohung von lokalen und externen Akteuren, die rechtliche Verantwortlichkeit (legal accountability) einfordern, haben letztere in beiden Kontexten eine Transnationalisierung dieses Problems gefordert, welches wir hier als die Emergenz einer transnationalen Security Governance erfassen wollen. Dabei geht es um die rechtsstaatliche Bindung staatlichen Handelns, angesichts der Zersetzung des Staates durch organisierte Kriminalität und paramilitärische Gruppen. In Guatemala gelang es Vertretern der legal accountability erst vor kurzem (2007), entsprechende Governance-Instrumente im Rahmen der Einsetzung einer gemeinsamen Kommission aus Vertretern der nationalstaatlichen Regierung und der UN zu etablieren. Sie orientierten sich dabei an der sehr viel früher (1993) erfolgreichen Initiative in El Salvador (Grupo Conjunto).
Am Fall der „gemeinsamen Kommissionen gegen Straflosigkeit und Strafvereitelung“ lässt sich generell zeigen, wie lokale Prozesse der Ablehnung und Aneignung nicht allein auf die Aktivitäten von Menschenrechtsgruppen und ihre Fähigkeit, rights coalitions zu bilden, setzen können, sondern einen breiteren Konsens aufbauen müssen. So wandten sich in Guatemala über Jahre hinweg unterschiedliche Menschenrechtsgruppen an externe Akteure (wie Amnesty International, den Botschafter der USA in Guatemala, Regierungsvertreter von EU-Staaten, UN-Organisationen), mit dem Ziel eine internationale Kommission gegen die Straflosigkeit zu etablieren. Eine erste Initiative (Comisión de Investigación de Cuerpos Ilegales y Aparatos Clandestinos y de Seguridad, CICIACS) stieß in den Medien und in den politischen Parteien auf heftige lokale Abwehrreaktionen und scheiterte schließlich im Parlament. Erst 2007 stimmte das guatemaltekische Parlament einem Vertrag zwischen der Regierung und den UN zu, welcher die Einrichtung einer Comisión Internacional contra la Impunidad en Guatemala (CICIG) ermöglicht. Diese macht das Problem der mangelnden Rechtsstaatlichkeit zu einem „geteilten“ Governance-Problem, in diesem Fall zwischen Guatemala und der internationalen Gemeinschaft.
Was interessiert uns bei dieser Fallrekonstruktion?
Zunächst handelt es sich bei diesem Fall darum, die Kriminalisierung von Politik und Staat als Wirkung der mit der organisierten Kriminalität verbundenen grenzüberschreitenden Sicherheitsproblematik zu betrachten. Die Initiative kommt - im Unterschied zu den anderen beiden Fällen - von unten und geht von lokalen, nicht-staatlichen Akteuren aus, die zusammen mit internationale Akteuren eine rights coalition bilden, um eine bestimmte Governance-Intervention zu erreichen. Allerdings wird diese in den lokalen Abwehrprozessen (durch Medien, Parteien, staatlichen Einrichtungen etc.) als eine externe, von außen gesteuerte wahrgenommen und diskreditiert. Es stellt sich im Vergleich der beiden zentralamerikanischen Staaten die Frage, ob es historische Momente gibt, in denen es leichter ist, lokale Abwehrprozesse zu überwinden.
Der Fall zeigt, dass solche Externalisierungen wiederum auf die Einbindung der Regierungen bzw. Eliten in den betroffenen Staaten in dem Sinne zurückwirken können, dass sie sich nicht für die Lösung der Probleme zuständig sehen. Sie schieben sie entweder an internationale Kommissionen ab und entlasten sich damit. Oder sie weisen entsprechende Governance-Interventionen als Einmischung in die Belange souveräner Staaten zurück und diskreditieren die lokalen Bündnispartner transnationaler Security Governance als anti-national oder neo-koloniale Agenten.
Methoden
Durch den Vergleich der drei Fälle von transnationaler Security Governance und durch die Rekonstruktion ihrer Geschichte in unterschiedlichen lokalen Kontexten über einen längeren Zeitabschnitt, wollen wir zeigen: a) welche Akteure und Akteurskoalitionen sich um das jeweilige Sicherheitsproblem und dessen transnationale Bearbeitung herausbilden (Akteursmapping), wie sich die daran beteiligten coalitions zusammensetzen und wie sie miteinander interagieren (Interaktionsanalyse, à SFB-Ziel 1: Modi der Handlungskoordination und Machtverhältnisse), b) welche lokalen Aneignungs- und Abwehrprozesse vor Ort zu beobachten sind (à SFB-Ziel 4: Aneignungs- und Abwehrprozesse in Räumen begrenzter Staatlichkeit) und c) welche Rolle der jeweilige Kontext von Staatlichkeit auf die pfadabhängige Ausprägung dieser Aneignungs- und Abwehrprozesse sowie auf die transnationale Security Governance hat (à SFB-Ziel 2: Staatlichkeit als Kontextbedingung von Governance). Als weitere Kontextfaktoren erlaubt dieser Vergleich auch d) die Rolle von Medien, individuellen Erfahrungen der Akteure und die Relevanz konkreter Ereignisse für die Emergenz transnationaler Security Governance zu erfassen.
Zur Erfassung des prozesshaften Charakters der jeweiligen transnationalen Security Governance und seiner eventuellen Verstetigung, werden wir eine ausführliche Rekonstruktion der jeweiligen Governance-Interventionen, basierend auf einer Inhaltsanalyse der entsprechenden offiziellen Dokumente, vornehmen. Ergänzt werden die hierbei gewonnen Informationen durch qualitative Interviews mit zentralen Akteuren und Experten. Weiterhin wird eine diskursanalytisch geleitete Auswertung der Medienberichterstattung über die Fälle in den wichtigsten nationalen Printmedien der jeweiligen Länder durchgeführt. Die Medienanalyse dient auch der Erfassung der Rolle und des Einflusses der öffentlichen Debatten auf die lokalen Aneignungs- und Abwehrprozesse.
Die Vernetzung und Koalitionsbildung der verschiedenen Akteure suchen wir über ein Mapping, der an der Emergenz transnationaler Security Governance beteiligten Akteure, aufzuzeigen. Im Anschluss an die positiven Erfahrungen während der ersten Phase von C3, sollen verschiedene der im Rahmen dieses Mappings identifizierten Akteure interviewt werden. Hierüber erwarten wir uns tiefere Einblicke in die komplexen Voraussetzungen und Motive für Koalitionsbildungsprozesse.
Für die Erfassung des jeweiligen Kontextes von Staatlichkeit, der Konsistenz staatlichen Handelns und der Dichte staatlicher Institutionen, welche zentrale Kontextbedingungen für die Pfadabhängigkeit der jeweiligen emergenten Security Governance darstellen, wird auf Sekundärliteratur zur Staatsbildung in den von uns untersuchten Ländern zurückgegriffen. Ergänzt werden diese durch die Auswertung der offiziellen Primärquellen sowie von Materialien internationaler Agenturen, die die ausgewählten Länder unter den für unsere Fälle relevanten Gesichtspunkten beobachten. Einen Überblick über die im Teilprojekt zu analysierenden Quellen vermittelt Tabelle 2.
Tabelle 2: Liste der zu analysierenden Quellen
Name der Quelle |
Art der Quelle |
Zugang |
Weissbücher |
Dokumente |
USA, Mexiko, Guatemala, El Salvador |
Nationale Sicherheitsdoktrine |
Dokumente |
USA, Mexiko, Guatemala, El Salvador |
Berichte der betroffenen Länder an internationale Organisationen |
Dokumente |
Mexiko, El Salvador, Guatemala |
Gerichtsakten von Justizverfahren (Geldwäsche) |
Dokumente |
El Salvador, Mexiko, USA |
Akten des internationalen Gerichtshofs |
Dokumente |
Online-Recherche |
Berichte von NGOs |
Dokumente |
Mexiko, Guatemala, El Salvador, USA |
Berichte von Monitoring-Institutionen (FATF) |
Dokumente |
Regionalbüro Mexiko, Mexiko-Stadt FATF, Paris, Frankreich |
Prensa Libre, Guatemala |
Presseartikel |
Online-Recherche |
Siglo XXI, Guatemala |
Presseartikel |
Online-Recherche |
Prensa Gráfica, El Salvador |
Presseartikel |
Online-Recherche |
Diario de Hoy, El Salvador |
Presseartikel |
Online-Recherche |
Reforma, Mexiko |
Presseartikel |
Online-Recherche |
La Jornada, Mexiko |
Presseartikel |
Online-Recherche |
Proceso, Mexiko |
Presseartikel |
Online-Recherche |
Außenministerien |
Interview |
Mexiko, Mexiko Stadt El Salvador, San Salvador Guatemala, Guatemala-Stadt |
Innenministerien |
Interview |
Mexiko, Mexiko Stadt El Salvador, San Salvador Guatemala, Guatemala Stadt |
Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) |
Interview |
Washington D.C., USA |
Zentralamerikanisches Integrationssystem (SICA) |
Interview |
Secretaría General, Antiguo Cuscatlán, El Salvador |
FBI |
Interview |
Washington, DC Regionalbüro San Salvador, El Salvador |
Southern Command |
Interview |
Miami, USA |
Militärischer Geheimdienst Mexiko (CISEN) |
Interview |
Mexiko-Stadt, Mexiko |
Dirección General de Inteligencia Civil (Guatemala) |
Interview |
Guatemala-Stadt, Guatemala |
Centro de Inteligencia Policial (El Salvador) |
Interview |
San Salvador, El Salvador |
Staatsanwaltschaften |
Interview |
Mexiko Guatemala El Salvador |
Think Tanks |
Interview |
San Diego Dialogues, San Diego, USA |
CICIACS |
Interview |
Guatemala-Stadt, Guatemala |
Grupo Conjunto |
Interview |
San Salvador, El Salvador |
CICIG |
Interview |
Guatemala-Stadt, Guatemala |
Menschenrechtsorganisationen |
Interview |
USA, Washington Office on Latin America, Washington D.C. Mexiko, GuatemalaEl Salvador |
Financial Intelligence der jeweiligen Finanzministerien |
Interview |
Mexiko Guatemala El Salvador |
Financial Action Task Force (FATF) |
Interview |
Regionalbüro Mexiko-Stadt, Mexiko |
Bankenaufsichtsorgane |
Interview |
Mexiko, Guatemala, El Salvador, USA |
Arbeitsprogramm und Zeitplan
Im ersten Arbeitsschritt versuchen wir anhand möglichst präziser Fallrekonstruktionen im Rahmen eines induktiven Vorgehens zu klären: (1) Welche diskursiven und operativen Governance-Interventionen externe Akteure und Akteurskoalitionen hervorbringen und welche Rolle sie für transnationale Security Governance spielen; (2) welche Akteure und Akteurskoalitionen sich in lokalen Aneignungs- und Abwehrdiskursen und -praktiken herausbilden; (3) welche Kontextfaktoren sich als relevant für transnationale Security Governance erweisen; (4) welche Interaktionsmuster sich zwischen Governace-Interventionen und lokaler Aneignung und Abwehr herausbilden.
Im zweiten Arbeitsschritt geht es im Vergleich der drei Fälle transnationaler Security Governance und ihrer unterschiedlichen Ausprägungen in den jeweiligen lokalen Kontexten darum, folgendes herauszuarbeiten: (1) Über ein Akteursmapping und Interaktionsanalysen, sollen typische Formierungen von Akteurskoalitionen und (2) ihre Effekte auf die verschiedenen Formen von accountability identifiziert werden. (3) Über die Rekonstruktion des historischen Prozesses soll die Relevanz konkreter Ereignisse und die Bedeutung der Pfadabhängigkeit von Aneignungs- und Abwehprozesse herausgearbeitet werden.
Im dritten Arbeitsschritt versuchen wir Muster transnationaler Security Governance anhand ihrer Funktionen und der sie prägenden Koordinationsformen zu identifizieren.
Im vierten Arbeitsschritt geht es schließlich darum, Knotenpunkte in der Emergenz transnationaler Security Governance zu identifizieren und so Aussagen über deren Institutionalisierung- und Destabilisierungprozesse machen zu können.
Die dritte Förderperiode des Projekts soll sich mit der Frage von lokalen, nationalen und transnationalen Elitenstrukturen, Mustern des Elitenwandels und der Elitenrekrutierung für die Gestaltung von transnationaler Security Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit befassen. Zu klären ist, inwieweit die hohe Mobilität in der Region, insbesondere von Eliten und von Experten, einerseits weitere Fragmentierung von Staatlichkeit mit sich bringt und zugleich Möglichkeiten von Werte- und Normentransfers intensiviert, indem sie gemeinsame Erfahrungshorizonte schafft. Zu fragen sein wird auch, inwiefern wir es mit einer Transnationalisierung von Eliten zu tun haben, und wenn ja, wie sich diese auf Stabilisierung und Nachhaltigkeit von transnationaler Security Governance auswirkt. Schließlich geht es in dieser Phase um die Legitimität und Effektivität transnationaler Governance-Strukturen.
Stellung innerhalb des Sonderforschungsbereichs
Innerhalb des Projektbereichs C „Sicherheit“ wird das Teilprojekt C3 auch weiterhin mit einem weiten und normativ gehaltvollen Sicherheitsbegriff arbeiten, der zwischen der Erbringung eines kollektiven Gutes, der Etablierung von verbindlichen Regelungen für die Sicherheitsherstellung und der rechtsstaatlichen Bindung von Sicherheit unterscheidet. Wir interessieren uns, wie die meisten Projekte des Projektbereichs, für Transferbeziehungen und -leistungen, konkret für Standards-, Normen-, Institutionen- und Governancetransfers zwischen externen und lokalen Akteuren und Einrichtungen. In diesem Zusammenhang arbeiten wir mit dem Begriff der externen Governance-Intervention und fragen nach den sich im Rahmen dieser Interventionen herausbildenden Koalitionen. Mit dem Fokus auf lokale Aneignungs- und Abwehrdiskurse und –praktiken, mit welchen die Governance-Interventionen interagieren, ist das Teilprojekt für den gesamten SFB von Bedeutung (à SFB-Ziel 4: Aneignungs- und Abwehrprozesse in Räumen begrenzter Staatlichkeit). In diesem Zusammenhang kommt auch der Frage nach Staatlichkeit als Kontextbedingung eine wichtige Rolle zu (à SFB-Ziel 2: Staatlichkeit als Kontextbedingung von Governance, C1 Zürcher, C2 Chojnacki). Angesichts der Kriminalisierung von Politik und Staat in Mexiko und Zentralamerika, sind unsere Fallrekonstruktionen auch für Governance-Prozesse in Kriegsregionen, wie sie in zahlreichen anderen Projekten behandelt werden, relevant (à C1 Zürcher, C2 Chojnacki, C4 Lehmkuhl/Finzsch, C6 Schröder, C7 Schneckener).
Mit unserer Fokussierung auf Governance als emergenten Prozess, der in Räumen begrenzter Staatlichkeit nicht linear verläuft, sind Vergleiche mit den historischen Projekten (à C4 Lehmkuhl/Finzsch, C5 Rinke, B10 Esders) äußerst gewinnbringend, in welchen explizit der Umschlag von stabilen (relativ friedlichen) zu aggressiven Formen des Regierens thematisiert wird (à C4 Lehmkuhl/Finzsch). Für Guatemala und El Salvador (als Post-Konflikt-Gesellschaften) und für Mexiko (als vom Krieg gegen die Drogenkartelle geprägt) werden solche Umschlagprozesse (vor allem von Militärexperten in den USA) entweder schon konstatiert oder angekündigt. Durch die historischen Teilprojekte besteht die Möglichkeit, auch die zeitliche Dimension stärker aufzunehmen und nach historischen Tiefen von kolonialen und postkolonialen Sicherheitsarrangements zu fragen. Zudem gibt es mit C5 Rinke neben thematischen auch regionale Bezüge. Ein zentraler Beitrag ergibt sich daraus, dass diskutiert werden kann, was „neu“ ist an transnationaler Security Governance und den dadurch erbrachten Governance-Leistungen.
Eine engere Kooperation mit den rechtswissenschaftlichen Teilprojekten (à B7 Schuppert, B8 Rudolf, C8 Krieger) sowie mit B2 Börzel, welches sich der Untersuchung regionaler Organisationen widmet, bietet sich aufgrund ähnlicher Fragestellungen an. Schließlich bestehen Anknüpfungsmöglichkeiten zu D6 Fritz, sind doch Remittances nicht selten eng verbunden mit informellen und auch illegalen Finanztransfers, so dass eine unmittelbare Anschlussfähigkeit zur Frage der Geldwäsche besteht.
[1] In Anlehnung an Crawford (2006) gehen wir davon aus, dass Sicherheit nicht nur als reines öffentliches Gut, sondern auch als Club-Gut bereitgestellt werden kann, und auch als solches historisch bereitgestellt wurde (Garland 1996).
[2] Aufgrund der Komplexität der Empirie in den von uns untersuchten Räumen begrenzter Staatlichkeit, kann unser Forschungsdesign nicht im strikten Sinne hypothesentestend ausfallen. Wir benutzen daher die Variablen-Sprache in Anführungszeichen zur besseren Anschaulichkeit des Designs.
[3] Die Post-Konflikt-Gesellschaften von Guatemala und El Salvador sind durch eine geringe Konsistenz des staatlichen Handelns und der Dichte der staatlichen Institutionen gekennzeichnet. Letztere ermöglichten eine starke Kriminalisierung von Staat und Politik, welche in der Konsequenz den Justizapparat, die politischen Parteien und die lokalen Medien massivem Druck aussetzt (Atwood 2008). Darüber hinaus hat die Post-Konflikt-Situation zu einer starken Unterwanderung von Polizei und Militär durch paramilitärische Gruppen geführt. Während beide Länder somit ähnliche Charakteristika aufweisen, dürfte das hier beschriebene Gesamtszenario in Guatemala stärker ausgeprägt sein als in El Salvador (vgl. Peacock/Beltrán 2003). Mexiko unterscheidet sich von den beiden zentralamerikanischen Staaten einmal aufgrund seiner Größe, der Dichte und vergleichsweise höheren Professionalität der staatlichen Institutionen und Konsistenz des staatlichen Handelns. Zum Zweiten blieben - im Unterschied zu Guatemala und El Salvador - in Mexiko nach der Revolution (1910-1917) politisch motivierte, bewaffnete Konflikte eher eine Randerscheinung, so dass sich keine relevanten paramilitärischen Gruppierungen oder Guerillas ausgebildet haben und die Bevölkerung dem mexikanischen Militär lange Zeit großes Vertrauen entgegenbrachte (Braig/Müller 2008). Noch heute wird es als politisch neutral wahrgenommen. Die derzeit zu beobachtende Kriminalisierung von Politik und Staat lässt sich – anders wie in den beiden zentralamerikanischen Ländern – nicht auf vorangegangene bewaffnete Konflikte zurückführen, sondern sie stehen vielmehr im engen Zusammenhang mit der wachsenden Bedeutung des Landes als Durchgangsland von Drogen in die USA und der damit einhergehenden Modifikation der lokalen Drogenhandelsstrukturen in Mexiko.
[4] Insbesondere die USA legen darauf Wert, dass es gelingt, die Geldwäscheprozesse zu kontrollieren, die sich entlang von drei für diese illegalen Finanztransfers typischen Phasen des „Placement“, „Layering“ und „Integration“ vollziehen(Altenkirch 2006). Die bedeutsamste Phase stellt hierbei sicherlich das „Placement“ dar, da an dieser Stelle die maßgeblichen Schritte in Räumen begrenzter Staatlichkeit erfolgen.